Ise zum Zweiten (伊勢市-2)

Nachdem klar war, dass wir unsere Reisepläne aufgrund des stornierten Rückflugs ändern würden, hatten wir uns spontan entschlossen, vom Kumano Kodo (Beitrag folgt noch…) nochmals nach Ise zurückzukehren. Die knapp 1 ½ Tage, die wir dort verbracht hatten, waren von solch üblem Wetter gekrönt gewesen, dass wir das Gefühl hatten, ein zweiter Eindruck wäre nicht schlecht.

Frühmorgens (7.4.) stiegen wir in Kawayu Onsen in den Bus, der uns nach Shingu zurückbrachte. Die Bushaltestelle war direkt vor unserer Unterkunft – wir mussten wirklich nur aus dem Hausflur, dem Genkan, herausfallen.

In Shingu hatten wir die Wahl zwischen dem Expresszug (Dauer 120 Min.) und dem Lokalzug (Dauer 190 Minuten). Allerdings hätten wir für den Schnellzug noch sehr lange vor dem Bahnhof warten müssen, und so setzte Thom die Lokalzug-Idee durch. Der „Local“ hält praktisch alle 10 Minuten an einem der vielen, vielen Bahnhöfe an der Wakayama-Ostküste. Immerhin gab es eine Toilette im Zug, und letztendlich ist solch eine Fahrt ja auch sehr unterhaltsam, da sich die Mitfahrenden ganz anders zusammensetzen: überwiegend Schülerinnen und Schüler, die derzeit weiterhin Corona-Schulfrei haben, und mit sportlichen Aktivitäten oder Nachhilfe beschäftigt sind.

In Ise kamen wir am Nachmittag an und konnten im nagelneuen Hotel Comfort (gleich gegenüber des Bahnhofs) einchecken. Anfangs hatten wir das Gefühl, die einzigen Gäste in dem grossen Turm zu sein. Es gab dann aber schon noch andere Besucher dort.

Nach einem ganzen Tag in Bus und Zug brauchten wir vor dem Abendessen noch etwas Bewegung in Form einer kleinen Velotour. Ideales Ziel für einen spätnachmittaglichen Ausflug war ein Besuch der (in Japan sehr bekannten) Craftsbeerbrauerei Ise Kadoya. Sie liegt einige Kilometer nordöstlich des Zentrums, und da Ise freundlich flach und überschaubar ist, waren wir ruckzuck da. Ise Kadoya selbst ist ein 450 Jahre alter Betrieb, der Sojasauce und Miso herstellt. Auch das schöne Gebäude ist noch ganz traditioneller Stil.

Seit 1997 braut der aktuelle Nachkomme auch Craftsbier, das mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet ist. Spezialisiert hat er sich auf Pale Ale und IPA (India Pale Ale), und somit füllten wir unsere Tasche mit ziemlich vielen Probierflaschen. Gebraut wird im über 400jährigen alten Stammhaus inzwischen nicht mehr, denn dort reichen die Kapazitäten nicht mehr aus. Die neue Brauerei hätten wir natürlich zu gerne besichtigt, aber das war leider – auch wegen Corona – nicht möglich. Die freundliche Verkäuferin zeigte uns aber, quasi zur Entschädigung, noch das alte traditionelle Gebäude, in der die Sojasauce in grossen Bottichen fermentiert. Um die zähe Masse kümmert sich der einundachtzigjährige Grossvater, denn sie muss täglich umgerührt werden. Eine ziemliche Arbeit! Uns war nicht bewusst, dass eine gute Sojasauce drei Jahre lang braucht, um zu reifen. Die einfachere Variante für den täglichen Gebrauch wird in Stahltanks schnellfermentiert. Man schmeckt den Unterschied ziemlich deutlich. Der für die Fermentation verantwortliche Kōji lebt im Holz der Fässer und sogar im Gebälk des alten Hauses.

Der Vormittag des nächsten Tages (8.4.) ging erst einmal fürs dringend notwendige Wäschewaschen drauf. Die japanischen Business-Hotels sind ja superpraktisch und haben alle Waschmaschinen plus Wäschetrockner. Das Waschmittel (plus Weichspüler) wird automatisch hinzugefügt. An sich toll, aber die allerneuesten Modelle sind jetzt kombinierte „Waschtrocker“, und da diese unsere Sachen (insbesondere die Jeans) auch nach vielen Yen nicht wirklich trocken brachten, mussten wir noch rasch einen lokalen Waschsalon mit richtigen Trocknern ausfindig machen und dorthin radeln. Irgendwann war auch dies geschafft, und wir konnten dann endlich zum zweiten Mal zum „Naiku“, dem inneren Schrein radeln.

Dort war die Ruhe und Leere bereits in der Okage Yokocho, der schön gestalteten Einkaufsstrasse mit den traditionellen Nachbauten beunruhigend. Selbst die Woche zuvor, bei strömenden Regen, waren viel mehr Leute unterwegs gewesen! Einen so völlig menschenleeren Ise-Schrein hat sicherlich Seltenheitswert…

Wir gingen nochmals durch den schönen Park, in dem die Baumpfleger und -schneider auch an diesem Werktag zugange waren. Solch ein schönes Gewächs entsteht nicht zufällig, sondern ist das Ergebnis sorgfältigen Schneidens und Zupfens.

Erneut beeindruckten uns die mehrere hundert Jahre alten „Sugi“, die Zedernbäume, und die ebenso mächtigen Kampferbäume, die ebenfalls ein hohes Alter erreichen können. Das Komische war: Jetzt, bei sonnigem Wetter, wirkte die Atmosphäre im Wald und am Schrein nicht halb so beeindruckend wie beim lästigen Regen der letzten Woche. Auch schlechtes Wetter hat doch manchmal seine Vorzüge….

Überrascht waren wir, an diesem Tag auf eine Schar hübscher Hühner mit langen, weissen Federn zu stossen. Ob sie für die Eierlieferung der göttlichen Speisen zuständig sind??

Nun ist auch langsam die Zeit der Kirschblüten zu Ende. Zwar gibt es noch die spätblühenden Exemplare, aber nach und nach werden die Blüten von den spriessenden Blättern verdrängt.

Für bzw. gegen Corona ist dies sicherlich ein Vorteil, denn damit verringert sich die Reisetätigkeit zu Kirschblütenspots. Auch mit ein Grund, warum in dieser Woche schon viel weniger Menschen unterwegs sind. Und die nächste, traditionelle Reisewoche, die „Golden Week“ wird in diesem Jahr in Japan ausfallen. Reisen ins Ausland sind sowieso tabu und nicht möglich, und auch innerhalb Japans wird man sich zurückhalten.

Am nächsten Morgen konnten wir einen herrlichen Sonnenaufgang direkt durch unser Hotelfenster im 11. Stockwerk geniessen (leider mit Doppelverglasung, daher die Doppelsonne…). Damit bot uns ein zweiter schöner Tag Gelegenheit für eine nächste Velotour zu den Meoto-Iwa, den „verheirateten Felsen“ an der Küste vor Ise. Es gibt in Japan mehrere dieser Felsen, die mit einem Reisstroh-Seil miteinander verbunden sind, aber diese beiden sind die bekanntesten.

Pro Weg sind es ca. 10 Kilometer, und dank Google Maps auf dem Handy suchten wir unseren Weg durch Ise, ein Stück am Setagawa entlang, und dann über die Felder bis zum Meer. Bereits auf der kleinen abendlichen Velotour vor 2 Tagen war uns aufgefallen, dass es im Viertel Kawasaki am Fluss noch sehr viele traditionelle, alte Häuser mit japanischen Spezialitäten zu entdecken gab, wie etwa hier ein Geschäft, das essbare Algen (Nori, Wakame, Hijiki, etc.) feilbietet.

Nun sahen wir noch viel mehr Häuser dieser Art, und wir würden diesem Viertel noch auf der Rückfahrt etwas mehr Zeit widmen. Erstmal waren die heiligen Felsen dran, die wir nach einer guten Stunde Fahrt erreichten. Mehr als eine Stunde für 10km ist ja unter unserer Würde, aber mit den Birdys und wegen der vielen „Orientierungs“- und Fotopausen brauchen wir hier einfach ein bisschen länger. Und schliesslich sind wir ja auch in den Ferien. 😉 Ausserdem sind viele Entdeckungen zu machen, etwa die sorgfältig gepflegten Gärtchen der Leute hier (mit den dicken Bohnen im Vordergrund!), eine alte Fluss-Zollstation, Muschelsuchende am Fluss, oder einen alten Friedhof inmitten von Wohn- und Gewerbehäusern.

Schön anzusehen sind auch die traditionellen „Koi-Nobori“, die Fischfahnen, die für das am 5.5. (Rückflugtag) stattfindende Fest der Jungen bzw. Söhne aufgerichtet werden. Alle unsere GartenbesucherInnen kennen die bei uns flatternde, vereinfachte Variante ja sehr gut. 😊  Solch ein Koi-Set kostet mehrere hundert Franken – je grösser und güldener/glitzernder, desto teurer.

Betretenes Gefühl dann bei der Ankunft an der Top-Sehenswürdigkeit Meoto-Iwa: Die riesigen Parkplätze, die auf grosse Besucherzahlen schliessen lassen, waren leer. Es waren eine Handvoll Leute unterwegs zu den Felsen. Die meisten Shops waren geschlossen, und natürlich auch die Hinjitsukan (賓日館) , ein ehemaliges Gästehaus und nun Museum.

Der Weg zum kleinen, bescheidenen Schrein an den Felsen ist mit zahlreichen Frosch-Skulpturen geschmückt. Wieso Frösche, fragten auch wir uns. Antwort: Der Frosch ist ein Glückssymbol in Japan. Der japanische Name für Frosch lautet „kaeru – 蛙“, auch ein Homonym für das Verb „zurückkehren  帰る“. Die Wörter unterscheiden sich nur durch die unterschiedlichen Schriftzeichen. Somit bittet man an diesem Schrein für etwas, was man gerne zurückhaben möchte. Sehr hübsch.

Die beiden verheirateten Felsen, Mann und Frau, sehen wirklich sehr malerisch aus. Beeindruckender sind sie sicherlich noch, wenn das Wasser etwas höher steht. Bei uns war Ebbe, und somit die Wirkung nicht ganz so stilvoll, was uns aber nicht weiter störte. Wir genossen den kurzen Gang am Wasser und machten uns dann auf den Rückweg, für den wir dann den kombinierten Geh- und Veloweg entlang der Hauptstrasse wählten, damit wir etwas schneller vorankommen würden. So konnten wir uns noch etwas den schönen alten Häusern in Ise Kawasaki widmen.

Ise ist mit 127‘000 Einwohnern eine sehr kleine japanische Stadt. Viele Wohnhäuser, mehrere Einkaufszentren, und ausser den Schreinen und Museen tauchen in den westlichen Reiseführern keine weiteren Sehenswürdigkeiten auf. Aber bei unseren kleinen Velotouren war uns doch aufgefallen, dass noch sehr viele alte traditionelle Häuser zwischen den modernisierten Gebäuden stehen. Und dieses alte Handelsviertel am Fluss ist von einer NPO in den letzten Jahren mit viel Liebe und Yen wachgeküsst worden, was sich unserer Meinung nach sehr gelohnt hat. Weiter so!

Als wir so interessiert vor den Häusern standen wies uns ein älterer Mann darauf hin, dass das nächste der Gebäude besichtigt werden konnte, also nichts wie hinein. Die Ise Kawasaki Shoninkan ist eine ehemalige Sake Brauerei und stellt heute noch Cider her. Der freundliche Mann gab uns sogar eine kleine Einführung auf Englisch, und wir konnten in dem ausgedehnten Gebäudekomplex mit Wohnhaus und Betriebsgebäuden herumlaufen. Das kleine Museum erschloss sich uns leider aufgrund der sprachlichen Barriere weniger (Japanese only), aber man kann dort noch einige Scheine des ersten japanischen Papiergelds (17. Jh.) anschauen.

Nach der Rückkehr und einer kleinen Pause im Hotel mussten wir noch zur Post und in Form eines „langsamen Pakets“ noch etwas Reiseballast abwerfen. Ich hatte ja bereits kurz erwähnt, dass es derzeit nicht mehr möglich ist, schnelle Pakete, d.h. per Flugpost, aufzugeben, da die Transportkapazitäten aufgrund der kaum noch stattfindenden Flüge nicht mehr ausreichen. Per Schiff geht es noch, und hier beträgt die Versandzeit 2-3 Monate. Was für ein Glück, dass wir unsere Reiscräcker noch ab Tokyo hatten aufgeben können (sie sollten hoffentlich schon angekommen sein…). Nun packten wir einige Winterklamotten ein, die wir nicht mehr brauchen würden, und dazu noch einige „Güter“ (z.B. Geschenke und Souvenirs), die den längeren Transport verkraften würden, und die wir nicht weiter mitschleppen können/wollen.
Die Idee, weitere Leckereien zu verschicken, müssen wir wohl leider begraben. Also nichts mit Süssigkeiten für KollegInnen und Freunde als Mitbringsel. So schade. Aber vielleicht bessert sich die Lage gegen Ende Monat wieder? Wir hoffen es.

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