In Wakayama hatten wir drei Tage für die nähere Erkundung, und gleich am nächsten Morgen radelten wir – gestärkt vom reichhaltigen japanischen Hotelfrühstück mit Blick aus dem 11. Stock – zum Schloss und parkten unsere Velos am Fuss einer der mächtigen alten Mauern drum herum. Wie wir lernten sind diese aus verschiedenen Epochen, was aufgrund der unterschiedlichen Bautechnik sehr gut zu erkennen ist. Die ältesten Mauern aus dem 16. Jahrhundert bestehen aus unbehauenen, eher wild aufgeschichteten Steinen, während die jüngeren aus grösseren und bearbeiteten Felsbrocken errrichtet wurden.
Das Gebäude selbst ist ein – wie wir sie nennen – Betonschloss. Zahlreiche japanische Schlösser traditioneller Bautechnik wurden spätestens während des 2. Weltkrieges zerstört und sind daher nach dem Krieg rasch und einfach wiederaufgebaut worden. Nur wenige haben den Krieg unbeschadet überstanden. Das bekannteste davon ist Himeji, oder kleinere wie z.B. Matsumoto oder Matsue.
Im Schloss gab es die übliche Ausstellung zur Geschichte, dazu zahlreiche Kriegerrüstungen und alte Schwerter. Meist sind die englischen Erklärungen eher rar, drum waren wir damit auch bald durch. Von der obersten Plattform aus hat man dann einen schönen Blick über die Stadt. Dort wird auch gebeten, auf seine Kopfbedeckung bei starkem Wind zu achten. Mal wieder eines der lustigen japanischen Mahnschilder für unsere Sammlung. 😉
Beim Rückweg durch den grosszügigen Schlosspark, in dem die Hanami-Vorbereitungen in vollem Gange waren (Aufbau von Verkaufsbuden, Anlieferung von Kühlschränken etc.) sprach uns eine ältere Frau an. Sie war ein «Volontier Guide» und begeistert davon, uns den Schlosspark und seine Besonderheiten zeigen zu können, denn so viele Tourist:innen waren noch nicht unterwegs. Die Führung begann zuerst auf holperigem Englisch, bevor sie dann vertraulich ins Japanische wechselte, und die kundige Dame erläuterte uns dann einiges, was uns vielleicht verborgen geblieben wäre. Etwa den kleinen Schrein hinter dem gewaltigen, gut 500 Jahre alten Kampferbaum im Park.
Geld wollte sie für die gut halbstündige Runde nicht, aber für genau solche Fälle ist es in Japan gut, wenn man ein kleines Geschenk dabei hat. Das mitgeführte Migros-Schoggihäschen löste grosse Freude aus, und tatsächlich hatte die engagierte Frau auch schon etwas von Schokolade in Hasenform gehört.
Zum späten Mittagessen gönnten wir uns eine Portion Soba (Buchweizennudeln) mit viel Drumherum gleich in einem der Restaurants im Bahnhof, bevor wir weiter zum Fährhafen radelten. Da wir mit dem Schiff nach Tokushima bzw. Shikoku weiterfahren würden, wollten wir dort die Lage auskundschaften, zumal das Wetter für eine kleine Wakayama-Velotour höchst geeignet war.
Die Bahngesellschaft Nankai verbindet den Wakayama-City-Bahnhof mit dem Fährterminal, und dort fahren auch die Schiffe des Unternehmens nach Tokushima ab. Der Hafen ist nur zwei Bahnstationen entfernt, aber mit dem Velo zog es sich doch noch durch das sehr von Schwerverkehr befahrene Industriegebiet. Am Ferry Terminal kauften wir schon mal sicherheitshalber die Tickets, um am Abfahrtstag nicht zu viel Zeit zu verlieren. In der sehr langen, geschlossenen Gangway vom Bahnhof zum Schiff würde es mit den Velos und Koffern noch eine rechte Schlepperei werden. Immerhin gab es ein Laufband, was die Sache zur Hälfte erleichtern würde.
Für den Rückweg in die Stadt wählten wir den Weg über die grosse Brücke und dann am Fluss entlang. Und siehe da, die blaue Strassenmarkierung für die Wakayama Cycling Road war wieder da, der wir dann folgen konnten. Das Flussufer war gesäumt von Freizeitstätten, Spielplätzen, Sportplätzen für Fussball, Baseball, und sogar eingezäunte Hundespielplätze, sorgfältig unterteilt nach Grösse der vierbeinigen Freunde. Auf dem Spielplatz der Kleinhunde ging es besonders lebhaft zu, und es wurde mit viel Gebell herumgetollt.
Über den wackeligen alten Fussgänger- und Zweiradsteg, den wir aus unserem Hotelzimmer direkt vor der Nase hatten, überquerten wir den breiten Kinokawa-Fluss. Dass direkt daneben eine neue Brücke gebaut wird, können wir nur unterstützen. Der alte Steg schien mehr als baufällig und neigte sich schon bedrohlich auf die Seite.
Auf der anderen Flussseite fuhren wir noch ein Stück weiter, kehrten aber irgendwann wieder um und arbeiteten uns dann durch die Stadt und das Häusergewimmel wieder zum Hotel zurück. Zufällig kamen wir auch durch die fast verlassene und sehr traurig wirkende alte Einkaufspassage, die wir am Abend vorher schon gesehen hatten.
Viele dieser einst lebhaften Geschäftsstrassen sind in vielen mittleren und kleineren Städten inzwischen grösstenteils verlassen und verlottern zunehmend. Japans Gesellschaft wird älter, und wie uns unsere Führerin am Vormittag erklärt hatte, verliert auch Wakayama an Einwohnern. Die Jungen ziehen in die grossen Städte, und das nicht weit entfernte Ballungsgebiet Osaka-Kansai bietet wohl attraktivere Arbeitsplätze.
Zurück im Hotel gönnten wir unseren Velos einen Platz im Parkhaus des Bahnhofsgebäudes. Dies kostete zwar, aber es gab ansonsten keine Abstellmöglichkeit im Hotel, und sie erneut mit ins Zimmer zu nehmen (selbstverständlich in ihren Taschen) war uns zu blöd und auf Dauer auch zu eng. Eine Rampe mit Radantrieb führte zur dieser Zwischenetage über der Bibliothek. Beim Eingang zieht man – wie im Parkhaus üblich – seine Karte, die man beim Verlassen wieder einscannt und dann bezahlt. Funktionierte tadellos, und unsere zweirädrigen Gefährten waren so trocken, sicher und bestens untergebracht.
Da es erst 18 Uhr war, entschieden wir uns noch, einen Waschabend einzulegen. In fast jedem (Business-)Hotel Japans stehen Münz-Waschmaschinen und -Trockner sehr günstig zur Verfügung, manche sogar mit integriertem Waschmittel. Im Zimmer hatten wir sogar noch Platz, um alles aufzuhängen. Sehr dekorativ! 😉