Shirahama – Wakayama (14.3.24)

Nach drei Tagen hiess es schon wieder Abschied nehmen von Shirahama. Es sollte zurück nach Wakayama gehen, aber damit hatte es keine Eile. Erst hatten wir noch «die» Sehenswürdigkeit abzuarbeiten. Nach einer weiteren, wunderbar ruhigen Nacht und dem nährenden Hotelfrühstück packten wir unsere Koffer für den Checkout, deponierten sie an der Hotelrezeption und schwangen uns selbst auf unsere Birdys, um besagten Kanki-Schrein zu besuchen.

Auf der Karte befindet sich der Schrein ganz oben, links neben dem Propellerflugzeug auf der Karte. Die Halbinsel ist nicht sehr gross, und mit einer kleinen Abkürzung gegenüber der gestrigen Route waren wir in kaum 15 Minuten dort.

Es war kein Mensch da, als wir am Kassenhäusschen klingelten und der Gärtner-Wächter herbeieilte, um uns für YEN 500 pro Nase hineinzulassen. Das kleine Museum vor uns liessen wir – im wahrsten Sinn des Wortes – erst einmal links liegen, bzw. hoben wir uns zum Schluss auf. Primär interessierte uns der Schrein und seine besonderen Heiligtümer.

Die da folgende wären: «Kami» (=unsichtbare Geister) in Form der bekannten binären, also weiblichen und männlichen Fruchtbarkeitssymbole, sprich Penis und Vulva. Penisdarstellungen in japanischen Schreinen sind relativ häufig zu sehen. Seltener sind dagegen beide gemeinsam an einem Ort.

Im ersten Moment wirken die Objekte vielleicht etwas pornographisch, wenn man den Kontext nicht kennt. Die sehr plastischen Darstellungen, die in den Schreinen oder bei Festen zelebriert werden, haben aber überall in Japan eine sehr lange Tradition. Die Forschung reiht sie ein in sehr alte Fruchtbarkeitsriten, sie gelten jedoch auch generell als positive glücksbringende oder schützende Elemente.
Thom hat darüber ein wissenschaftliches Buch gelesen*, und zufällig waren wir bei unseren Reisevorbereitungen darauf gestossen, dass es solch einen Schrein in Shirahama gab. Welch ein Glück für die praktische Anschauung! Erklärungen zu diesem Schrein gab es zwar, aber leider nur auf Japanisch. Die Entzifferung ist weiterhin eine Herausforderung…

Lustig war in jedem Fall die kleine Sammlung der Holz-Phalli allen Alters, Grössen und Materialien, denen gehuldigt werden kann, wobei Holz klar dominiert. Die weissen Zickzack-Papiere («shide») weisen darauf hin, dass diese heilig sind, bzw. ein Kami darin wohnt. Besonders gefallen hat uns der Holzstumpf-Schrank mit den Türchen, die man zuklappen kann, um das gute Stück dahinter zu verbergen.

Der Brauch sagt, dass in manchen dieser Schreine Frauen, die schwanger werden wollen, einen Holzpenis mitnehmen und unters Kopfkissen legen sollen. War die Mitnahme erfolgreich, sprich die Frau wurde erfolgreich schwanger, dann bringt sie das Objekt zurück und stiftet ein weiteres dazu. Irgendwann wird es also eine stattliche Sammlung – hoffentlich.

Der Hauptschrein befand sich an der Stelle der Felswand, in der die Form einer weiblichen Vulva deutlich und überraschend echt sichtbar ist. Daher vermuten wir, dass der Schrein deshalb dort seinen Ursprung hat.

Im Museum werden noch Statuen indischer Götter in diversen sexuellen Darstellungen ausgestellt. Da englische Erklärungen fehlten, blieben uns der Kontext und die Herkunft der Sammlung leider verborgen.

Über die Küstenstrasse radelten wir zurück zum Meeresaquarium von gestern. Dahinter befindet sich das Minakata-Kumagusu-Museum http://www.minakatakumagusu-kinenkan.jp/  , eines japanischen Universalgelehrten, sowie ein kleiner Park, durch den man zu einem kleinen Leuchtturm auf der Spitze des Kaps wandern kann. Heute, Donnerstag, hatte dieses seinen Schliesstag, und wir begegneten auf dem kleinen Wanderweg vielen enttäuschten Besucher:innen. Das Gefühl kam uns sehr bekannt vor… 😉

Beim Leuchtturm selbst gab es doch nicht sehr viel zu sehen, der Zugang war auch verboten. Einen schönen 360°Blick bot die kleine Aussichtsplattform daneben. Mal wieder Zeit für ein Selfie.

Zurück im Hotel nahmen wir die deponierten Koffer in Empfang, packten die Birdys in ihre Taschen, und ich konnte den netten Rezeptionist:innen noch mit einem kleinen Päckchen Schweizer Schoggi-Truffes für ihre Freundlichkeit in den letzten drei Tagen danken.

Der lokale Bus brachte uns und andere Feriengäste zurück zum Bahnhof. Es war und ist uns immer sehr unangenehm, da unsere Gepäckmassen die typischen japanischen Busse (nur Sitzplätze, kaum Stehplätze, geschweige denn Platz für Gepäck oder womöglich noch Kinderwägen) immer Gang und Sitze versperren. Aber was sollen wir machen?? Da hilft nur ein betretenes Gesicht zu machen, viel «sumimasen» sagen, und aufpassen, dass niemand darüber stolpert.

Da sich auf der Hinfahrt im Schnellzug dasselbe Problem mit dem Gepäckt gestellt hatte, hatten wir für den Weg nach Wakayama die Fahrt mit den lokalen Zügen mit Umsteigen in Kii-Tanabe und Gōbo gewählt. In den lokalen Zügen ist meist etwas mehr Platz, und zudem spart man sich auch den Schnellzug-Zuschlag. Darüber hinaus geht alles gemächlicher und man ist mittendrin im japanischen Alltagsleben.

Am Bahnhof Shirahama wurde es dann mega stressig. Wir hatten kein Ticket, am Schalter war eine Schlange, und am Automaten konnte das Billett nach Wakayama nicht mehr gelöst werden (zu weit). Hilfesuchend wandte ich mich an die Aufpasserin an der Schranke zum Bahnsteig, und sie eilte sofort los nach hinten, um uns einen Fahrschein herauszulassen. Im letzten Moment sprangen wir mit Gepäck zusammen mit einer jugendlichen Basketball-Mannschaft in den Zug hinein. Puh, so knapp war es selten gewesen, aber geschafft!

Die Fahrt war nicht zuletzt mit den Umstiegen sehr kurzweilig. Der Zug, ein «Wanman-Car» (ワンマンカー), also ein Zug nur mit Lokführer:in und ohne Schaffner zuckelte teilweise am Meer entlang, die bunt gemischte Fahrgesellschaft, in der Mehrzahl Schüler:innen, stieg ein und aus, und einmal gab es sogar einen kurzen Zwischenhalt, um den durchrasenden Schnellzug vorbeizulassen.

Die Umstiege gestalteten sich zum Glück einfach, da es an den Stationen Aufzüge an den Bahnsteigen gab, bzw. wir auf demselben Bahnsteig bleiben konnten. Somit kamen wir sehr entspannt am Bahnhof Wakayama-shi (nicht zu verwechseln mit dem normalen JR-Bahnhof Wakayama) an und konnten dort gleich in unserem Candeo-Hotel einchecken. Dieses lag praktischerweise gleich über den Gleisen, und von unserem Zimmer im 8. Stock hatten wir eine schöne Sicht.

Wie wir später erfuhren ist der gesamte Gebäudekomplex vor drei Jahren eröffnet worden. Er beherbergt die Bahnhöfe zweier Bahngesellschaften, Japan Rail und Nankai. Dazu gibt es einen kleine Einkaufspassage inklusive Restaurants, Supermarkt und Drogerie, sowie eine wunderschöne Bürger- bzw. Stadtbibliothek 和歌山市民図書館. In der dreistöckigen Institution war unten im Erdgeschoss sogar eine Buchhandlung und ein Starbucks untergebracht, bzw. im Hochhaus dann das Hotel. Welch ein spannendes und durchdachtes Konzept! Den Starbucks mussten wir natürlich schon allein wegen der notwendigen Koffeinzufuhr ausprobieren. Da es später Nachmittag war, sogar zur Abwechslung mit einer glutenfreien Matcha-Rolle bzw. einem Scone.

Mit dieser ersten kleinen Erkundungstour plus dem Einkauf von Getränken und dem Abendessen (Sashimi) war der Nachmittag schon wieder vorbei. Es folgte noch ein kleiner Spaziergang in Richtung Wakayama-jō, also dem Schloss, auf welches wir während des Sonnenuntergangs gerade noch einen Blick erhaschen konnten.

Im Hotel genossen wir dann anschliessend unser Zimmerpicknick, inklusive der Aussicht aus dem 8. Stock. Und nicht zu vergessen: Das heisse Bad zum Abschluss des Tages. Die Hotelkette Candeo zeichnet sich durch eine Bad-Infrastruktur aus, die neueren Häuser sogar mit Rotemburos, also Aussenbecken. Da kann man dann den Blick auf die Landschaft geniessen, während man im heissen Wasser entspannt. Nicht nur deshalb, sondern auch wegen der guten Erreichbarkeit zum Flughafen Kansai erfreut sich das Hotel offensichtlich einer grossen Beliebtheit. Wir hatten es primär gewählt, weil das Fährterminal Richtung Tokushima bzw. der Insel Shikoku ebenfalls sehr gut angebunden ist. Die nächsten beiden Tage widmeten wir uns aber erst einmal in Ruhe Wakayama.

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* Japan’s sexual gods : shrines, roles, and rituals of procreation and protection. – Turnbull, Stephen R. – Leiden, Netherlands : Brill, 2015.

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