Hirado (平戸)

Gleich am nächsten Morgen machten wir uns wieder auf zum Bahnhof, allerdings zum andere Gleis auf der anderen Strassenseite. Imaris Bahnhof besteht aus zwei Kopfbahnhöfen, die mit einer Passage über die Hauptstrasse verbunden sind. Mit der JR-Linie Richtung Karatsu waren wir gestern abend gekommen. Nun kam die andere Seite zum Zug (haha, Wortwitz). Dort fährt Matsuura-Railway bzw. die Nishi-Kyushu Line (Nishi-Kyūshū-sen / 西九州線) verbindet Arita via Imari um den nordwestlichsten Zipfel Kyūshūs herum mit Sasebo (und umgekehrt). Die ultimative Linie für Ferrophile. Genau richtig für uns.

Der Fahrkartenautomat hatte noch geschlossen, was jedoch kein Problem ist, denn dann zieht man einfach den oblikatorischen Nummernzettel im Zug und wirft dem Fahrer beim Ausstieg das Geld (passend!) in die Maschine. Überflüssig zu erwähnen, dass die Bähnchen natürlich allesamt «Wanman»(Einmann)-Fahrzeuge sind.

Unser Entschleunigungserlebnis dauerte eine gute Stunde. Wir hatten also genügend Zeit, die beschauliche Fahrt auf den 39 Kilometern entlang des Meeres zu geniessen. Bis auf wenige Ausnahmen sind die kleinen Bahnstationen mehrheitlich unbedient und bestehen nur aus einem überdachten Wartebänkchen am Gleis. Nur eine grosse Industrieanlage wirkte an dem sonst einsamen Küstenabschnitt etwas irritierend.

Es entpuppte sich als sehr grosses Kohlekraftwerk. Seit dem Fukushima-Desaster sind die japanischen Atomkraftwerke ja weitgehend abgeschaltet. Irgendwoher muss der Strom ja herkommen…

In Tabirahiradoguchi (たびら平戸口), dem westlichsten Bahnhof Japans (!) stiegen wir aus, schwangen uns auf unsere Birdys und fuhren die Strasse entlang bis zum Hirado-Aussichtspunkt.

Hier hat man einen schönen Blick auf die rote Brücke, die Kyūshū mit der Insel Hirado verbindet. Und hier spürten wir dann auch so richtig den eiskalten Wind, der uns heute den ganzen Tag das Leben etwas schwer machen sollte. Mist, und ich hatte Handschuhe und Kopfschutz im Hotel vergessen. Die Wettervorhersage war etwas optimistischer gewesen.

Zum Glück gab es am Parkplatz ein kleines Café mit französischer Bäckerei, wo wir einen «kafé-o-re» plus feinem Brioche bekamen. Das wärmte etwas, bevor wir im Gegenwind über die Brücke strampelten. Die Strasse nach Hirado ist leider recht stark befahren, vor allem mit Schwerverkehr (die Insel muss ja versorgt werden). Eine Velotour ist also kein idyllisches Vergnügen, aber immerhin kann man auf dem Gehsteig unbehelligt entlangradeln.

Wir steuerten zuerst das kleine Schloss an, was auf dem Hügel oberhalb Hirados thront. Im kleinen Park sind viele wunderschöne, alte Kirschbäume zu sehen, die aber ihr rotes Laub bereits verloren hatten. Während der Kirschblüte im März/April lohnt sich bestimmt ein Besuch.

Im Schloss selbst bietet die kleine Ausstellung einen Überblick über die historische Bedeutung Hirados und zur über Jahrhunderte herrschenden Fürstenfamilie Matsuura.

Hirado ist offenbar bemüht, sein traditionelles Ortsbild zu verhübschen. Um diese Jahreszeit war natürlich alles sehr ruhig, aber es lässt sich erahnen, dass das Städtchen bzw. die Insel zur Saison gut besucht sind.

Mich freute vor allem erstmal das «te no yu», das heisse Handbad. Dort die Hände 5 Minuten eingelegt, taut man etwa zur Hälfte wieder auf. Wunderbar. Hirado erhält von mir gleich mal einen Bonus-Punkt. Es gab auch ein Fussbad, ein «ashi no yu». Aber aus unseren Schuhen haben wir uns dann nicht herausgewagt.

Schon seit früher Zeit war Hirado ein wichtiger Hafen für die Aussenbeziehungen (Korea, China) gewesen. Ab 1550 kamen mit den Portugiesen die ersten Europäer. 1609 durfte die niederländische «Vereenigde Oost-Indische Compagnie / VOC» dort ihre Handelsstation eröffnen. Nach der zunehmenden Abschottung Japans wurde diese dann 1641 nach Nagasaki – Dejima verlegt. 2011 hat man das ursprünglich 1639 fertiggestellte Gebäude im holländischen Stil wiederaufgebaut. Im heutigen Museum kann man die Geschichte Hirados sowie der holländischen Station weiter vertiefen. Neben Replikaten gibt es noch einige Originale aus der frühen Zeit zu bewundern.

Und man kann sich noch in die Zeit der holländischen Meister zurückversetzen… 😉

Die Kassenfrau trug passenderweise (und zu unserer Belustigung) holländische Tracht mit Spitzenhäubchen und Holzschuhen. Auf unsere Nachfrage empfahl sie uns ein klitzekleines, ziemlich spezielles Nudel-Restaurant. Dort kochte die Frau, während der Fernseher lief und ihr Mann auf den Tatami-Matten nebendran schnarchte. Wir assen dort eine Schale frisch zubereitete, heisse «Champon», eine Spezialität aus Nagasaki. Die kräftige Nudelsuppe enthält Gemüse (insbesondere Weisskohl), aber auch Fleisch. Ausnahmsweise haben wir letzteres mal gegessen.

In Hirado steht auch das Haus des dort 1620 verstorbenen William Adams (japanisch Miura Anjin). Der geborene Engländer und Protestant war Navigator des ersten holländischen Schiffs, das 1600 nach einer abenteuerlichen Fahrt durch den Pazifik Japan erreichte. Bei einem persönlichen Verhör durch den späteren Shōgun Tokugawa Ieyasu erhielt dieser ein zwangsläufig anderes Bild zur europäischen Politik, als das er von den Portugiesen gewohnt war. Bis zu diesem Zeitpunkt waren sie die einzigen Europäer im Land gewesen. Das Misstrauen des Mächtigen war geweckt, und überspitzt gesagt waren es Adams Informationen, die zur Ausweisung der Portugiesen sowie zur 250jährigen Abschottung Japans beigetragen haben…

An alle, denen dies etwas bekannt vorkommt: Ja, William Adams ist die tatsächliche Figur, die dem Autor James Clavell als Vorbild für die Figur von James Blackthorne im historischen Roman «Shōgun» gedient hat.

Im Westen Kyūshūs ist die Zahl der Kirchen – im Vergleich zum übrigen Japan – besonders hoch. Praktisch in jeder Ortschaft gibt es mindestens eine deutlich sichtbare Kirche. Für mich immer wieder ein überraschender Anblick, obwohl das für uns Europäer ja ein gewohntes Bild ist. Jedoch sind die Kirchen in Japan ja nicht sehr alt, sondern wurden frühestens nach der Öffnung des Landes (nach 1860) errichtet. Die St. Francis Xavier Memorial Catholic Church stammt von 1931.

Am Fuss des Kirchbergs liegen dann gleich zwei alte buddhistische Tempel, und man hat die einmalige Gelegenheit zu einem kombinierten «Kirchen-Tempel-Foto».

Sehenswert ist in jedem Fall noch das Matsuura Historical Museum Es ist die ursprüngliche Residenz der lokalen Fürstenfamilie von 1893, und in den traditionellen, schönen Räumen sind zahlreiche historische Objekte und Dokumente ausgestellt. Schade, dass es für weitere Fotos schon zu dunkel war.

Im Garten gibt es auch noch ein Teehaus, wo man eine Teezeremonie machen kann. Dazu waren wir allerdings zu spät dran – welch ein Glück für unser Knie. 😉
Sowieso war nun wirklich Zeit, sich auf den Rückweg zu machen. Noch ein kurzer Fotostopp bei der alten Brücke, Kobashi.

Und dann wieder den Hügel hinauf zur Hirado-Brücke, wo wir tüchtig aufpassen mussten, da der Wind von der Seite immer noch kräftig (und kalt) blies.

In Tabirahiradoguchi stoppten wir noch kurz an der kleinen Markthalle am Hafen, wo wir die diversen lokalen Produkte begutachteten: Gemüse von den Bauern, Fische, Sake und vieles mehr. Alles superfrisch und appetitlich.

Wieder zurück am Bahnhof blieb noch genügend Zeit, um einen Fahrschein zu lösen. Dort gibt es allerdings nicht mal mehr einen Fahrscheinautomaten. Nein, die Bahnhofswärterin stellt diese ganz liebevoll und individuell von Hand aus. Eigentlich unglaublich, dass es so etwas noch gibt. Japan ist in Teilbereichen wirklich noch ziemlich unzeitgemäss unterwegs. Mir ist das aber sehr sympatisch.

 

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