Auch der strahlend blaue Himmel am nächsten Tag ermunterte uns zu einer weiteren gemütlichen Stadttour. Zuerst ging es in Richtung Schlosspark. Utsunomiya hatte ursprünglich – wie viele japanische Städte – eine Fürstenresidenz und -burg (bzw. Schloss) gehabt. Dieses war jedoch bereits in der Meiji-Zeit abgetragen worden. Zwei der alten Wachtürme sowie den Wall hat man nun rekonstruiert, und in einem weiteren Gebäude befindet sich ein kleines historisches Museum.
In zwei Ausstellungshallen im Wall selbst hat man Gelegenheit, die hohen Festwagen des «Furusato Miya Festival» anzuschauen, und lernt etwas über die Geschichte Utsunomiyas. Die freiwilligen Guides, die in Japan überall anzutreffen sind, waren entzückt über unseren Besuch und unsere bescheidenen Japanischkenntnisse, und erklärten uns auf unsere Fragen noch einige Details zur Stadt und den Sehenswürdigkeiten.
Daher fuhren wir umgehend los, den «Ōichō» anzuschauen, den «grossen Gingko». Dieser gut 400 Jahre alte, prachtvolle Ginko-Baum ist 33 Meter hoch, wurde im 2. Weltkrieg nahezu verbrannt, trieb aber später erneut aus. Solche erstaunlichen Geschichten über Gingko-Bäume gibt es in vielen Städten Japans, und Gingkos gelten nicht zuletzt deshalb als Symbole der Langlebigkeit. Dieser war wirklich ein beeindruckendes Exemplar, zumal er auch mitten an einer belebten Kreuzung zu finden ist, und nicht in einem Park.
Beim durch die Stadt radeln, macht man auch immer wieder Entdeckungen. Faszinierende, aber auch nachdenklich machen uns immer wieder die dem Zerfall preisgegebenen Häuser.
Wir radelten dann weiter zum nächsten Kunstmuseum, aber diesmal erfolglos. Das «Tochigi Prefectural Museum of Fine Art» war geschlossen, vermutlich wegen der Vorbereitung einer neuen Ausstellung. Also auch Fehlanzeige.
Zum Glück war die nächste Option nicht weit entfernt. Das Tochigi Prefectural Museum lag in einem grossen, weiten Park nicht weit entfernt. Mit den Präfektursmuseen haben wir schon gute Erfahrungen gemacht, denn dort lernt man viel über die naturhistorischen Eigenschaften der einzelnen Präfekturen Japans, zur Geologie, Geschichte und insbesondere Flora und Fauna. Allerdings ist das immer eine ziemlich japanische Angelegenheit, aber heutzutage bringen einem die Free WiFi-Verbindung und Google Translate die Erklärungen und Beschreibungen zu den Exponaten doch erstaunlich nahe. Zudem gibt es immer noch Stärkungsmöglichkeiten in einem Museumscafé, hier mit Café au Lait und Matcha-Kuchen.
Nach alldem waren wir nun doch etwas müde – bzw. es machte sich nochmals der Jetlag bemerkbar. Also radelten wir zurück zum Hotel und gaben in der nahe gelegenen Radstation unsere Velos ab. Das ist eine feine Sache: Man bekommt von zwei freundlichen Aufpassern einen Zettel mit der exakten Check-in-Zeit am Rad, stellt dieses abgeschlossen ab und holt es dann bei Bedarf wieder ab. Kostenpunkt: Pro Tag YEN 100 (keine CHF 0.60 bzw. EUR). Hier waren es persönliche Aufpasser, aber es gibt auch vollautomatisierte Parkhäuser mit Parkkarte und Bezahlautomat. Wobei auch dort immer noch ein Mensch anwesend ist, um bei einem Problem zur Stelle zu sein. Das ist es eben, was wir an Japan auch lieben: Service first.
Utsunomiyas ganzer Stolz ist die neue Strassenbahn auf der Ostseite des Bahnhofs, die «Light Line».
Sie erschliesst in knapp 15 km den Osten der Stadt mit Wohnsiedlungen, aber auch zwei grösseren Industriegebieten. U.a. grosse Werke so bekannter Firmen wie Canon oder Honda. Da wir noch Zeit hatten, setzten wir uns rein, um zur Endhaltestelle und wieder zurückzufahren. Überraschend war, wie schnell man mit der Bahn in ländlichem Gebiet war – ganz im Gegensatz zum westlichen Gebiet, welches wir radelnd kennengelernt hatten. An der Endstation blieben wir also sitzen, um wieder zurückzufahren. Aber leider ging es an der zweiten Hälfte der Strecke nicht mehr weiter. Die Durchsagen verstanden wir leider nicht (zu schnell), aber ein wohl in Utsunomiya wohnender Ausländer erklärte, dass es auf der Strecke einen Unfall gegeben hätte (was noch nie der Fall war), und man noch nicht wüsste, wie es weiterginge.
Also warteten wir noch etwas ab, aber da Thom bald darauf eine Toilette benötigte, stiegen wir wie einige andere aus. Zum Glück befand sich die Haltestelle im Industriegebiet mit grossen Einkaufsläden und ihren riesigen Parkplätzen, und ein Baumarkt bietet meistens gute WC-Optionen. Etwas weiter gab es auch noch einen Supermarkt, in dem wir noch etwas fürs abendliche Zimmerpicknick einkaufen konnten. So war dieser unfreiwillige Stopp also durchaus praktisch.
Als wir zurück an die Haltestelle kamen, war der Verkehr wieder in Gang gekommen, aber die Bahnen waren unglaublich voll, und wir waren froh, dass wir uns mit anderen Wartenden noch in die nächste hineindrängeln konnten. Ein bisschen Rush hour-Feeling darf in Japan vielleicht schon mal sein. 😉 Nur dass wir dies mit diesem kleinen Ausflug doch nicht so erwartet hatten.