Mit gemischten Gefühlen packten wir nach vier Nächten im gemütlichen Miyazaki unsere Koffer. Die Wetteraussichten für die nächsten Tage sahen düster aus. Offenbar schien uns der Regen zu verfolgen, denn es würde im mystischen Takachiho wohl ziemlich nass werden. Es half nichts, alles war gebucht, und letztendlich wollten wir uns davon auch nicht unterkriegen lassen. Ganbarimashō!
Die Frage, die uns allerdings schon am Vortag beschäftigt hatte: Was tun mit unseren Velos? Takachiho liegt hoch in den steilen Bergen, also nicht wirklich velofreundlich – zumindest nicht faltvelofreundlich. Und angesichts der Wettervorhersagen würden wir sie auch nicht wirklich nutzen können. Und sie mit uns herumzutragen, noch dazu in den nicht gepäckfreundlichen japanischen Lokalbussen war auch sinnlos. Sie einige Tage irgendwo in Miyazaki deponieren wäre gut, denn wir würden ja sowieso wieder auf der Rückfahrt vorbeikommen. Aber wie und wo?
Zum Glück fanden wir am Vorabend noch heraus, dass man im zweistöckigen Veloparkhaus am Bahnhof sein Gefährt bis zu 8 Tagen gratis abstellen durfte. Perfekt, und es war noch nicht mal voll belegt! Also checkten wir am Samstag, den 6.4. morgens im Hotel aus, schlossen unsere Velos (sogar inklusive ihren Taschen) im 2. Geschoss des Velodepots ab, und hofften, sie in drei Tagen wiederzusehen. In keinem anderen Land hätten wir so etwas gewagt. In Japan schon. Und in der Nähe der beeindruckenden Kuppel des Miyazaki Science Museums konnte nichts Böses geschehen.
Der Regionalzug brachte uns in gut 1 ½ Stunden von Miyazaki nach Nobeoka, wo wir in den Bus nach Takachiho umsteigen mussten. Das Bahnhofsgebäude ist ein überraschend moderner Bau, und wir hatten umgehend ein Déjà-vu: Die üblichen Bahnhofs-Facilities (Toilette, Bahnhofssperre, JR-Ticketschalter) nebst Verkaufsstelle der Busgesellschaft Miyazaki Kōtsū. Dazu eine Buchhandlung, die Stadtbibliothek (!) und ein Starbucks.
Hatten wir das nicht schon einmal gesehen? Genau, das coole Konzept wie in Wakayama fand sich auch hier, wie genial! Schade dass wir für das Städtchen keine Zeit eingeplant hatten. Unsere Neugier aber bleibt geweckt. Und man kann ja auch gutes Bier trinken (siehe Hideji Brewery). 😉
Im lokalen Schnellbus, der uns über die 218-Strasse mit einigen Schlenkern zur Naturwunder-Stadt Takachiho bringen würde, befanden sich kaum eine Handvoll Personen, und neben uns beiden Langnasen nur noch eine weitere Touristin. War dies dem nassen Wetter geschuldet? Inzwischen regnete es in Strömen. Die Fahrt liess trotzdem die beeindruckende Landschaft und die Schluchten des Flusses Gokase sowie seiner Nebenflüsse erkennen.
Erneute 1 1/2h später waren wir am Ziel, stiegen am bescheidenen zentralen Busbahnhof aus und liefen die paar hundert Meter im Nieselregen zu unserem Quartier.
Es war kaum halb zwei Uhr, also viel zu früh für den Check-in im Hotel Solest, einem neuen, modernen Bau am der Strasse Richtung Schlucht. Die Koffer wurden dennoch vom sehr freundlichen Personal entgegengenommen, und auf Anfrage erhielten wir noch eine prima Beratung, wo sich ein Vegetarier-freundliches Restaurant finden liesse. Wir hatten Glück: Im proppenvollen, familiär geführten Soba-Restaurant Ten-an wurde gerade ein Tisch frei. Es war die perfekte Wahl, und das Mittagsmenü war wunderbar: Soba-Nudeln, Tempura., Inari-Sushi, Dessert… (leider keine Fotos…). Alles frisch und fein zubereitet. Schade dass sie die nächsten Tage geschlossen haben würden.
Es regnete weiter, und mit unseren kleinen Hotelregenschirmen (Durchmesser nur 60cm ☹️) tappten wir noch etwas die Strasse hinauf und hinunter, tranken einen Kaffee, und kehrten dann wieder ins Hotel zurück um unser Zimmer zu beziehen.
Um kurze Zeit später erneut loszuziehen. Eine der Haupt-Sehenswürdigkeiten in der Stadt ist der Takachiho Schrein, nicht weit von uns entfernt, in dem unter anderem dessen wunderschöne hohe, ca. 800 Jahre alte Zedern beeindrucken. Dies war noch vor Anbruch der Dunkelheit machbar. Und es ist ja schon so: Die Atmosphäre an diversen Orten in Japan ist bei solch einem Wetter einfach unvergleichlich: Kaum Menschen unterwegs, die nassen Bäume und Pflanzen, Gebäude und Natur im sanften Prasseln des Regens… Top-romantisch, wenn es nur nicht so unpraktisch wäre! 😉
Unser Spaziergang führte uns dann noch bis zur Brücke über die Schlucht, die uns einen ersten Blick hinab erlaubte. Das sah schon sehr vielversprechend aus, aber hinabsteigen würden wir erst am folgenden Morgen.
Am nächsten Tag, einem Sonntag, wunderten wir uns beim (leckeren) Frühstücksbuffet erst einmal über die zahlreichen taiwanesischen bzw. chinesischen Mitgäste, viele mit kleinen Kindern. Natürlich war Wochenende, aber das sich diese Location bei diesem Wetter solch einer Beliebtheit erfreute, war doch erstaunlich. Oder lag es an der guten Qualität des Hotels, dass sich alle dort versammelten? Rätsel über Rätsel… Jedenfalls konnten wir frühzeitig losziehen zur Schlucht und freuten uns, dass es gemäss Wettervoraussage erst einmal trocken bleiben sollte. Die Schirme, die wir mitnahmen, dienten der Rückversicherung.
Es gibt unterschiedliche Wege um in die Schlucht zu gelangen. Wir wählten den Einstieg hinter der Brücke der 203er-Strasse beim Restaurant Zipangu. Dort geht es ca. 30-40 Höhenmeter hinunter (die man dann wieder hochsteigen darf… 😉) zu einem sehr komfortabel angelegten Fussweg entlang des rauschenden Flusses mit den faszinierenden Basaltformationen. Beim schweren Kumamoto-Erdbeben 2016 ist ein Teil zerstört worden, wurde aber wieder instandgesetzt.
Auch wenn es mit dem Fotografieren etwas schwierig war: Die Geologie der Schlucht ist schon sehr beeindruckend.
Szenischer Höhepunkt ist der 17 Meter hohe Minainotaki-Wasserfall. Normalerweise kann man ein Stück flussabwärts dann auch ein Boot mieten und in der Schlucht rudern, was nun jedoch aufgrund des Regens der letzten Wochen und dem hohen Wasserstand nicht möglich war. Der Steg (hinter der Brücke) stand 30-40 cm unter Wasser.
Am Ende des Fusswegs warten verschiedene Shops und Restaurants sowie zwei, drei Teiche, in denen sich grosse Störe (genau, die mit dem Kaviar) tummeln. Auch hier waren zu dieser Uhrzeit noch nicht viele Leute unterwegs. Immerhin einen Menschen mit anständiger Kamera konnten wir für ein Foto ansprechen.
Mehr war dann nicht mehr zu tun, und so läuft man wieder an der schmalen Strasse entlang hoch, die mit abgefallenen Blättern der Kampferbäume übersät war. Diese warfen zu dieser Jahreszeit offenbar einen Teil ihres alten Laubs ab, um dem frischen Grün Platz zu machen. Und wie es in einem ordentlichen Land ist, bleibt das Laub nicht lange liegen, sondern wird recht bald weggepützelt. Das geschieht häufig noch mit Rechen und Besen, aber die Moderne hält auch (leider) hier Einzug. Auch japanische Omas lieben Laubbläser…
Auf dem Rückweg zu unserem nächsten Sightseeing-Punkt liessen wir beim Vorbeigehen die zur Sicherheit mitgenommenen Schirme im Hotel, denn das Wetter schien sich halbwegs stabilisiert zu haben. Es sah sogar etwas heller aus, wie nett.
Zur «Amaterasu Railway» war es eine gute Viertelstunde Fussweg durch die hügelige Ortschaft. Es ist das verbliebene Teilstück der einstigen Zugverbindung zwischen Takachiho und Nobeoka, die seit 1972 in Betrieb war. Die Strecke wurde durch einen schweren Taifun 2005 so schwer beschädigt, dass sie stillgelegt wurde. Nun wird ein kleines Teilstück vom einstigen Bahnhof zur Eisenbahnbrücke über den Iwato-Fluss für touristische Zwecke genutzt. Immer noch ist sie die höchste Eisenbahnbrücke Japans.
Nach kurzer Begutachtung entschlossen wir uns mitzufahren. Kein ganz billiger Spass mit YEN 2500 für die kaum 5 Kilometer, und Thom meinte trocken, das sei wohl unsere bislang kürzeste, langsamste und teuerste Bahnfahrt … 😄 Aber schliesslich braucht das Unternehmen – ein privater Verein – ja auch Unterstützung, und ein Spass ist es schon.
Das Bähnchen mit den offenen Aussichtswagen tuckert mit sagenhaften 20 Stundenkilometer durch die Natur, durch einen Tunnel, in denen bunte Lichter projiziert werden, vorbei an terrassierten Reisfeldern und Kirschblüten bis zur Takachiho-Brücke, auf deren Mitte über der Schlucht man dann 5-10 Minuten stoppt und den Erklärungen zur Geschichte der Bahn lauscht (Japanese only). Etwas mulmig kann einem in der luftigen Höhe schon werden, denn die Jahrzehnte haben der Eisenkonstruktion schon sichtbar zugesetzt. Aber es hält wohl noch.
Während des Stopps bliessen die beiden Zugführer mit zwei Maschinchen eine Unmenge Seifenblasen in die Luft, die dann durch die Höhe schwebten – der Hit für die zahlreichen Kinder (und Erwachsene… 😉). Alle knipsten und filmten, was die Handys – und seltener die Kamera – hergaben. Schliesslich ging die Fahrt ebenso geruhsam wieder zurück, und nach insgesamt 30 Minuten steigt man wieder aus. Fazit: Eine nette Sache mit grandioser Aussicht, wenn das Wetter trocken ist. 😉
Vom Bahnhof liefen wir zum Busbahnhof, denn der nächste Programmpunkt war der 7 km entfernte Amanoiwato-Schrein im Nachbarort. In alter Tradition gab es noch zwei Amanatsu-Orangen zum Zmittag, bevor der Bus nach Iwato abfuhr. Dort lies die schön gepflästerte Strasse schon erahnen, dass es sich um einen vielbesuchten, berühmten Schrein handelte, wobei es an diesem Sonntag erstaunlich friedlich und ruhig zuging.
Auf dem schön gepflegten Areal des Schreins tummelten sich eine Horde sehr hübschen – und vielleicht sogar heiligen – Federviehs, und insbesondere der etwas heiser krächzende Hahn zog alle Aufmerksamkeit auf sich.
Fast lenkte er ab von der eigentlichen Absicht unseres Besuches, denn dies -ist der Ort der berühmtesten mystischen Legende Japans, in der sich die Sonnengöttin Amaterasu nach einem Streit mit ihrem Bruder Susanoo in einer («der») Höhle versteckte und die Welt damit ins Dunkle hüllte (gemäss dem ältesten Werk der japanischen Literatur, dem Kojiki aus dem Jahr 712).
Nur mit einer List brachten sie die Götter dann wieder aus der Höhle hinaus und es wurde wieder hell auf der Erde.
Die mystische Höhle befindet sich hinter dem Schrein auf der anderen Flussseite, auf die ausschliesslich per Führung ein respektvoller Blick geworfen werden kann. Wir hatten Glück, eine Gruppe kam gerade vorbei, und ich fragte den in einem weissen, traditionellen Gewand gekleideten Guide, ob wir uns spontan anschliessen dürften. Er freute sich, meinte aber, es sei halt nur auf Japanisch. Macht nix, ein bisschen würden wir ja schon verstehen. Und so konnten wir dann in der grösseren Gruppe die mit einem Seil aus Reisstroh geschmückte Höhle sehen und diesem Ort höchster Religiosität unsere Ehrerbietung erweisen. Es versteht sich von selbst, dass Fotografieren verboten ist.
Interessant finde ich in diesem Kontext die vielleicht realen Ursprünge dieses Mythos. Möglich, dass ein gigantischer Vulkanausbruch vor sehr langer Zeit das damalige Japan tatsächlich verfinstert hat, wodurch diese Legende entstanden ist.
Einen Kilometer weiter den Iwato flussaufwärts befindet sich in einer weiteren grossen Höhle der schlichte Hauptschrein, den man besuchen und auch fotografieren kann – was allerdings gar nicht so einfach ist, denn es ist recht dunkel dort. Ausserdem sind in der Ama no Yasugawara-Höhle tausende von Steinmännchen aufgeschichtet – ein weiterer magischer Ort, insbesondere an diesem Tag, an dem zwar Leute unterwegs waren, aber vermutlich nur ein Bruchteil der sonstigen Besuchermassen.
Kraftorte sind schön und beeindruckend, wir brauchten aber langsam eine kleine leibliche Stärkung. Inzwischen war es zwei Uhr nachmittags, und das an einem kleinen Kiosk-Restaurant angebotene Hideji-Bier lockte, zumal es auch mit Sitzen auf der Terrasse inklusive «Schlucht-Blick» verbunden war.
Gekräftigt liefen wir dann noch auf die andere Seite des Flusses zum Amanoiwato Higashihongu, wo überhaupt kein Mensch war, und auch die Gebäude selbst wirkten verlassen.
Merkwürdig, dass Highlights und stille Orte manchmal nur wenige hundert Meter auseinanderliegen…
Wir kehrten zurück zur Strasse, und überlegten, was nun weiter zu tun wäre. Der Bus zurück nach Takachiho war weg, der nächste würde erst in 2h fahren, und nach mehreren badefreien Tagen war es mal wieder Zeit für einen Onsen-Besuch. Das kleine lokale Badehaus lag ganz in der Nähe, und mit Hilfe von GoogleMaps fanden wir auch gut den Weg, kamen aber ganz schön ins Schwitzen, denn es ging kurzzeitig extrem steil die kleinen Strässchen hoch. Immerhin zwischen den terrassierten Reisfeldern, die auch eine Sehenswürdigkeit der Gegend sind.
Im kleinen Iwato-Onsen waren alle sehr freundlich, und an diesem Sonntagnachmittag ging es auch hier sehr geruhsam zu. Wieder einmal müssten wir zwei Badetüchlein zum Trocknen kaufen (unsere Sammlung ist inzwischen beachtlich!), bevor sich unsere Wege in die Badebereiche trennten. Und endlich hiess es mal wieder eintauchen und relaxen. Auch ohne Rotemburo war und ist es ein Genuss.
Entspannt und vor allem erwärmt trafen wir uns nach einer Stunde wieder draussen und machten uns auf den Rückweg, bis wir uns fragten, wie sinnvoll das wäre. Denn die Bushaltestelle würden wir für den nächsten – letzten – Bus nicht rechtzeitig erreichen. Nach Takachiho war es doch recht weit, und langsam waren wir auch müde. Also zurück zum Bad und höflich gefragt, ob es möglich wäre, uns ein Taxi zu bestellen. War es, und nach ca. 10 Minuten brauste ein modernes neues Toyota-Taxi mit einer weiblichen Fahrerin heran. Cool!
In Takachiho liessen wir uns am Coop-Supermarkt absetzen, den wir am Vormittag entdeckt hatten. Wir brauchten noch etwas Verpflegung für den Abend, denn die Restaurants waren mehrheitlich geschlossen. Und so klang der Tag wie fast üblich mit Bier und Bento im Zimmer aus, während draussen wieder nach und nach der Regen einsetzte.