Miyazaki – 宮崎 (02.-06.04.24)

Miyazaki ist die Hauptstadt der gleichnamigen Präfektur im Südosten der Insel Kyūshū. Die Reiseführer haben nicht sehr viel darüber zu berichten, aber genau deshalb wollten wir uns endlich mal selbst ein Bild von der Stadt und der Gegend machen. Ab Ōita sind es ca. 250 km, und man ist mit dem Schnellzug in drei Stunden dort. Der Lokalzug dauert um einiges länger. Zur Erinnerung: Wir sind hier auf dem Lande, und ein Shinkansen ist sehr weit weg. 😉
Ursprünglich hätte es gemäss Plan zuerst nach Takachiho, dem sehr bekannten Sightseeing-Hotspot, gehen sollen, welcher etwa auf halbem Weg liegt. Aber da das Hotel dort bereits ausgebucht war, mussten wir die Reihenfolge umdrehen.

Nach der Ankunft in Miyazaki (wo uns zuerst der lustige Briefkasten in Form der Präfekturs-Zitrusfrucht Hyūganatsu auffiel) gaben wir das Gepäck in unserem nahe beim Bahnhof gelegenen Hotel New Well City ab, in dem Thom zur Abwechslung mal wieder ein japanisches Zimmer mit Tatami-Raum und viel Platz gebucht hatte. Danach zogen wir zu Fuss los, denn leider hatte das Wetter wieder zugezogen, denn die Birdys standen gut auf ihrem trockenen Stellplatz beim Hotel.

Beeindruckend fanden wir die Strassen, die von grossen, prächtigen und bewachsenen Kampferbäumen gesäumt sind, dazwischen immer wieder Abschnitte mit hohen Palmen. Kirschblüten waren hier rar. Offenbar waren wir in eher tropischem Ambiente angelangt, obwohl es in diesem Jahr iim Südwesten kühler ist als teilweise in den nördlichen Präfekturen Japans. Wetterkapriolen oder Klimawandlungen?

In einem kleinen Soba-Restaurant (Soba = Buchweizennudeln) konnten wir gerade noch etwas zum Essen bekommen (es war schon Nachmittag und überall Küchenschluss), bummelten dann weiter durch die überdachte Einkaufspassage, die Haupt-Einkaufsstrasse sowie das noch ruhige Ausgehviertel, und unsere Verwunderung wurde immer grösser. Lange hatten wir keine Stadt mehr mit so vielen heruntergekommenen und zerfallenen Gebäuden gesehen, und wir fragten uns, woher dieser «morbide Charme» rührte. Landflucht? Strukturschwäche? Fehlende Industrie? Fragen, die noch zu beantworten sind.

Wir kamen an ein paar CBD-Shops und Bierbars vorbei, möglicherweise Anziehungspunkte der Surferszene, die an den Stränden nahe Miyazakis saisonal auf der Suche nach der perfekten Welle sind. Am Nachmittag war alles noch sehr ruhig, und allzu viele Westler haben wir während unseres dreitägigen Aufenthalts sowieso nicht gesichtet.
Dafür umso mehr Schirm-Stilleben… 😉 Und dass in Miyazaki ein Herrenhaarschnitt für kaum CHF 8-10 zu haben ist… 😮

Im nahegelegenen Supermarkt fanden wir unsere Standardverpflegung (Sashimi, Bier, Gemüse-O-Bentos) und liessen den Tag gemütlich ausklingen.

Am nächsten Tag kamen die Birdys wieder zum Einsatz, nebst Regenzeug für alle Fälle, denn die Wetteraussichten waren zwiespältig. Erstes Ziel war der wichtigste Schrein der Gegend, der Miyazaki-Jingū, benannt nach dem ersten legendären Tenno (Kaiser) Jimmu, siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Jimmu. Der Komplex liegt in einem grossen, schönen Park mit vielen prachtvollen alten Bäumen und gehört zu den vom Kaiserhaus (bzw. der Emperial Household Agency) offiziell anerkannten Schreinen, was man am Chrysanthemen-Wappen erkennen kann.

Bereits auf dem Weg zum Schreinsgebäude hörten wir Trommelklänge und als wir ankamen, waren die gesammelte Priesterschaft und zahlreiche festlich gekleidete Menschen versammelt. Es gab etwas zu feiern, und wie wir später erfuhren, war es das feierliche Ritual zum Todestag des eingeschreinten Jimmu. Wir konnten die speziell klingende «Gagaku», die alte höfisch-festliche Musik mit alten Instrumenten (Mundorgel, Flöte, Zitter, ??), festliche Gesänge und tanzende Priesterinnen sehen. Zwar wirken diese Rituale alt, aber das sind sie nicht. Gemäss Thom, der ein schlaues Buch gelesen hat, wurden diese Shintō Zeremonien erst während der Meiji-Zeit als «Staats-Shintoismus» neu kreiert, um einen nationalen Mythos zu schaffen. Interessant und speziell sind sie trotzdem. Auch zahlreiche Japaner:innen filmten bzw. fotografierten.

Während wir das Ritual beobachteten, hatte ein merkwürdiger, verwahrlost wirkender Mann Gefallen an uns Fremdlingen gefunden, und liess nicht locker, mit uns in verschiedenen Sprachen Kontakt aufzunehmen, obwohl wir ihn höflich signalisierten, uns in Ruhe zu lassen. Hilfesuchend sah ich einen der uniformierten Aufpasser an, der uns dann hinter sich nahm, und ihn etwas in Schach hielt. Er brabbelte dann weiter vor sich hin, sang uns einen Ausschnitt der „Freude schöner Götterfunken“ (!) vor und wurde von den Aufsichten gebeten, ruhig zu sein. Alles ging aber ganz gelassen vor sich, und als die Zeremonie zu Ende war, verschwand er dann zum Glück auch. Aber offenbar hatte verstanden, dass wir Deutsch gesprochen haben. Interessant.

Als die Festgemeinde sich erhob, prasselte trotz Sonne pünktlich ein tüchtiger, kurzer Regenschauer herab. Der Himmel zog plötzlich zu, und wir beeilten uns, ins Trockene zu gelangen. Einen Gang zum WC sparte ich mir auf, nachdem mir im Schreins-WC beim öffnen der Türe eine riesige Kakerlake entgegenfiel. So ein 5 cm langes Exemplar hatte ich seit Südafrika (1992/93) nicht mehr erblickt. Danke. Alles eben etwas tropischer hier. 😉

Das „Miyazaki Prefectural Museum of Nature and History“ liegt direkt hinter dem Schrein, also nichts wie weiter, und dort hatten die Birdys sogar einen trockenen Stellplatz. Der war auch sehr nötig, denn nachdem wir im Museum ankamen, brach draussen ein Gewitterinferno los, mit Wolkenbruch und Wassermassen, wie wir sie bislang nur in Japan kennengelernt haben. So konnten wir uns geruhsam den gebotenen Inhalten widmen, und erfuhren viel über die Geschichte, die Geologie sowie Flora und Fauna von Miyazaki-ken (der Präfektur). Mit Hilfe des WLANs und Google-Übersetzers liessen sich auch die Beschreibungen entziffern, die nicht auf Englisch bzw. nur sehr verkürzt wiedergegeben wurden, was es dann noch spannender machte.

WLAN & GoogleMaps halfen uns auch, eine interessante Adresse für ein anschliessendes. spätes Mittagessen zu finden. Im Heiwadai-Park, etwas nördlich sollte es sogar ein Bio-Restaurant geben – sehr rar in Japan! Der Park war eh das nächste Ziel, es klang perfekt, und so radelten wir schnell los, zumal sich die Wolken erneut dunkel zusammenzogen, und als wir am Park die Treppen hochstapften (er liegt nämlich auf einem Hügel), kündigte sich mit Grollen das nächste Gewitter an.

Das Restaurant «Sizen» lag gleich am Ende der Treppe und empfing uns freundlich. Wir zahlten pauschal YEN 2000, durften uns dann am Buffet bedienen, und schwelgten in superfeinen japanischen und westlich angehauchten Leckereinen: überbackene Süsskartoffeln, diverse Salate, Tofu-Zubereitungen, Vollkornreis, etc. Und sahen aus dem Fenster dem nächsten Wolkenbruch zu. Sehr angenehm, wenn man im Trockenen sitzt. 😉

Tatsächlich klarte es dann wieder soweit auf, dass ein Spaziergang durch den Park gewagt werden konnte. Der grosse sogenannte Peace Tower (Friedensturm) erinnerte uns in seiner Form und Gestaltung etwas an das Leipziger Völkerschlachtdenkmal. Dass er 1940 – mitten im 2. Weltkrieg –errichtet worden ist, mutet recht widersprüchlich an. Sehenswert ist der Haniwa-Garten mit vielen Repliken dieser Tonfiguren aus der Kofun-Zeit (3.-7. Jh.), leider war das dazugehörige Museum wegen Renovation geschlossen. Unsere Runde führte uns zum See und entlang des Ufers, und zu unserer Freude gaben uns dort mehrere Exemplare des japanischen Frühlingsvogels «Uguisu» Ständchen mit ihrem klangvollen, typischen Laut. Zum ersten Mal war das unscheinbare graubraune und scheue Vögelchen sogar zu sehen (leider nicht auf dem Video).

Begegnet ist uns auf unserer Runde niemand – das Wetter war den Einwohnern wohl doch zu wechselhaft für einen Parkspaziergang.

Die Velos hatten den Gewittersturm auch ohne Dach gut überstanden, und wir konnten zurück Richtung Stadt radeln. Es war schon nach 16 Uhr, aber da das Miyazaki Prefectural Art Museum bis 18 Uhr geöffnet war, stoppten wir dort gerne, und wurden nicht enttäuscht: Der Eintritt in die kleine Kunstsammlung war gratis (es gab sogar einen Picasso und einen Klee), nur die Sonderausstellung musste bezahlt werden. Und da ein weiteres Gewitterinferno über Miyazaki hereinbrach, nahmen wir uns noch gerne die Zeit und bezahlten das Geld für die Sonderausstellung. Die interaktive Kunst sowie die virtuellen Spielchen waren dann auch noch sehr lustig. Mehrheitlich hatten Kinder ihren Spass.

Pünktlich zur Museumsschliessung hatte sich das Wetter wieder beruhigt, und so konnten wir zufrieden und sogar trocken zurück ins Hotel radeln. Der Himmel war wieder freundlich und unschuldig.

Da hatten wir doch trotz der widrigen Umstände einen sehr spannenden und abwechslungsreichen Tag in dieser unbekannten Stadt erleben dürfen. Und darauf mussten wir doch mit einem ordentlichen Bier anstossen. Dieses ist interessanterweise im Bahnhofsgebäude zu finden.
Die Crafts-Bier-Brauerei «Hideji» bietet dort Bier, Softdrinks und Fruchtsäfte sowie kleine Snacks an ihrem Mini-Tap-Stand an. Dort sitzt man dann auf Barhockern, während das Bahnhofspublikum an einem vorbeizieht. So ausgestellt trinkt und isst man in Japan eigentlich selten. 😊 Die freundliche Zapferin hatte jedenfalls ihre Freude an uns Weithergereisten. Und wir an ihren Bierchen.

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