Was soll man dazu sagen, dass sich an unserem Abreisetag von Takachiho der blaue Himmel wieder zeigte und die Sonne unschuldig strahlte, als wäre die letzten drei Tage nichts gewesen? War Amaterasu verschnupft gewesen – oder wollte sie uns nur ein unvergesslich mystisches Erlebnis bei unserem Besuch bescheren?
Wir freuten uns jedenfalls, trockenen Fusses zum Busbahnhof zu laufen, und während der Fahrt liessen sich noch ein paar Fotos der schönen Bergwelt knipsen.
In Nobeoka ging es gleich mit dem Lokalzug zurück nach Miyazaki, wo wir genug Zeit haben würden, unsere Velos wieder an uns zu nehmen. Hatten sie die drei Tage Depot wohlbehalten überstanden?
Alle Sorgen waren unbegründet. Fahrräder und Taschen waren unberührt und standen noch genauso, wie wir sie abgestellt hatten.
Dies waren und sind die Momente, wo wir uns eine ähnlich vertrauensvolle und korrekte Gesellschaft auch bei uns und anderswo wünschen. Wo nicht geklaut, demoliert oder gelittert wird, einfach weil sich die Gelegenheit bietet oder es Spass macht… Ein Grund, warum es sich in Japan so entspannt reisen lässt.
So kamen die beiden Kleinen wieder in ihre Taschen und warteten mit uns auf den weiteren Anschluss nach Kagoshima. Auf dem Bahnsteig stehend guckten wir geruhsam den ankommenden und abfahrenden Zügen zu und genossen die seit Tagen vermissten Sonnenstrahlen.
Die Fahrt nach Kagoshima würde im zuschlagspflichtigen Limited Express «Kirishima Nr. 11» zwei Stunden benötigen. Ein Lokalzug wäre hier keine Alternative gewesen, dazu waren wir am Nachmittag einfach zu spät dran – und wir wollten ja noch zu einer christlichen Uhrzeit in Kagoshima ankommen. Stopps gibt es auf dieser Strecke gar nicht so viele, und bis Kirishima kurvt der Zug auch durch nahezu unberührte Naturlandschaften. Nach der Stadt Aira geht die Fahrt entlang der weiten Kagoshima-Bucht, in der sich der eindrucksvolle Kegel des Vulkans Sakurajima erhebt, dem Wahrzeichen unserer nächsten Aufenthaltsorts.
In Kagoshima heisst es aufpassen, denn es gibt zwei Bahnhöfe: Kagoshima befindet sich einige Kilometer vor dem Stadtzentrum (aus Richtung Kirishima), und Kagoshima Chuo direkt im Stadtzentrum, und ist in der Regel Endstation der Züge, mit Anschluss an die Shinkansen in Richtung Fukuoka oder weiter nach Tokyo. Dort stiegen auch wir aus.
Vor dem Bahnhofsgebäude fanden wir eine ruhige Ecke, um unsere Velos zu entfalten. Unser Domizil der kommenden vier Tage, das «Hotel Gran Cerenzo», lag ca. 1km entfernt, und der Spaziergang nach der vielen Sitzerei war angenehm. Nach dem Check-in rafften wir uns nochmals zu einer kurzen Velo-Runde auf. Der Bewegung wegen, und nicht zuletzt, um etwas Essbares zu finden. Zum Glück gibt es gleich gegenüber des Bahnhofs ein grosses AEON-Kaufhaus mit einem gut sortierten Lebensmittel-Supermarkt im Untergeschoss. Der würde uns auch die weiteren Abende noch gute Dienste erweisen.
Am nächsten Morgen genossen wir das Hotel-Frühstück mit grandioser Sicht auf den Vulkan, denn der Speiseraum liegt im 11. Stock des Hotels.
Danach zogen wir erst einmal zu Fuss los. Zum einen, um unseren üblichen Kaffee zu trinken, zum anderen um uns nach fast 17 Jahren (unser erster und letzter Aufenthalt in Kagoshima war im Dezember 2007 gewesen) wieder einen Überblick zu verschaffen. Das hiess eine grössere Runde in Richtung Waterfront und in einem weiten Bogen wieder zurück.
Kagoshima hatte uns schon damals gut gefallen. Der bunte, aber nicht zu hohe Häusermix, die begrünten Tram-Trassees, die imposante Silhouette des Sakurajima sowie die freundliche, interessierte Bevölkerung sind einfach sympathisch. Und inzwischen ist die Stadt auch noch etwas velofreundlicher geworden. Es gibt entlang der grossen Strassen breite Velowege und inzwischen auch ein Veloverleihsystem.
Was uns sofort auffiel, waren die zahlreichen Wahlkampf-Autos, die lautstark für ihre Kandidat:innen weibelten – was für ein Lärm in der Stadt! Wie wir später erfuhren, sollten am kommenden Sonntag Stadtratswahlen sein, also würde der Lärm noch die nächsten Tage andauern. Wunderbar… 🫤
Den Abschnitt an der Waterfront zwischen dem Fährhafen der Schiffe zu den Südinseln (Tanegashima, Yakushima, Okinawa etc.) und dem Sakurajima Ferry Terminal hatten wir etwas anders in Erinnerung. Wo war das hübsche Holzgebäude mit Cafés, Restaurants und Shops beim Dolfin Port geblieben?
Nur eine grosse, leere Rasenfläche gähnte dort, und wir fragten uns, was wohl geschehen war. Es gab dort nichts mehr ausser der WC-Anlagen beim Kagoshima Aquarium, die dahinter liegenden Frachthafengebäude sowie dem Aussichtspunkt mit Blick auf den Sakurajima. Für einen Aquariumsbesuch war uns die Zeit zu kostbar, also kehrten wir Richtung Stadt zurück. Ein Must-see ist natürlich noch der Sakurajima Ferry-Pier.
Beim in der Nähe liegenden Kagoshima-NHK-Gebäude blieben wir an den vielen Tafeln am Eingang hängen, die den jährlichen «Taiga Drama» , dem grossen, jährlichen historischen Fernsehserienspektakel gewidmet sind. Alle der seit 1963 ausgestrahlten Titel waren beschrieben, und staunend konnten auch wir feststellen, wie viele wir bereits – zumindest vom Namen oder ihrer Handlung her – kannten. Überwiegend sind es Samurai-Dramen, die dann einen regelrechten Hype und einen Run auf die historischen Handlungsorte auslösten, wie z.B. 2010 Ryōmaden in Kōchi, siehe auch der damalige Blogbeitrag. Auch in Kagoshima spielen mindestens zwei dieser Dramen, u.a. Segodon. Mehr dazu später.
Von NHK aus ist es nicht weit zurück zur grossen Strasse und dem beeindruckenden alten Gebäude des grossen Kaufhauses Yamakataya – der wohl besten Adresse der Stadt, und dessen Food-Abteilung wir selbstverständlich einen Besuch abstatten mussten. Wie üblich verloren wir uns zwischen Süssigkeiten, Frisch- und Trockenwaren sowie den alkoholhaltigen Spezialitäten. Ein Stand bot Zubereitungen für Dashi, an, und nach einer Kostprobe und Beratung kauften wir auch etwas, denn die nächste Nabe-Saison, also die kalte Jahreszeit für japanischen Eintopf, würde definitiv kommen.
Langsam erschöpft bummelten wird durch die überdachte Einkaufspassage wieder zurück Richtung Hotel, bzw. machten noch einen Schlenk durch das Kneipenviertel, welches hinter unserem Hotel lag. Dort faszinierte uns erneut die unendliche Anzahl grösserer und winzig kleinerer Restaurants, Isakayas und Amüsierbetriebe (für Männer) in teilweise sehr schmalen Seitengässchen, und wir fragten uns, ob ein Kagoshima-Menschenleben ausreichen würde, alle Bars und Etablissements kennenzulernen.
Ziemlich fusslahm kehrten wir weit nach Mittag ins Hotel zurück. Nach einer kleinen Pause (Mittagessen mit Vulkanblick) schwangen wir uns doch wieder auf die Fahrräder, die auf ihrem trockenen Stellplatz beim Parkhaus auf uns warteten. Wunderbar, nach gut sechs Tagen wieder schneller unterwegs sein zu können, und so wurde eine Runde in Shiroyama daraus, wo wir noch ein paar Sehenswürdigkeiten von aussen würdigen konnten.
Kagoshima ist stolz auf seine Geschichte als relativ unabhängige Stadt bzw. Zentrum der Provinz Satsuma während der Edo-Ära. Sie genoss mehr Freiheiten und war aufgrund der gestatteten Aussenhandelsbeziehungen mit Korea und den Ryukū-Inseln eine wichtige Bastion für das Tokugawa-Regime. Diese Weltoffenheit erleichterte einen vielfältigen Informationsfluss, und der damalige Fürst der Provinz, Shimazu Nariakira ahnte, dass die Öffnung Japans zum Westen hin unvermeidlich sein würde. Daher spielte Kagoshima eine wichtige Rolle in der Vor-Industrialisierung Japans vor Ende der Edo-Ära sowie für die Meiji-Restauration, und sie rühmt sich zudem, die Wiege des 1868 neu entstandenen Japans zu sein. Daran erinnern das «Museum of Meiji Restauration» am Kotsuki-Fluss sowie zahlreiche Statuen und Gedenktafeln in der Stadt.
Bei diesem Museum, am linksseitigen Ufer (in Fliessrichtung) des Kotsuki entlang, zieht sich eine nette Grünanlage, in dem sich noch letzte Kirschblüten die Ehre gaben, unter denen noch zahlreiche fleissige Hanami-Durchführende sassen. Dort waren nicht nur die Kirschblüten beeindruckend sondern auch die dicht bewachsenen Kampferbäume.
Ein grosser Held der Stadt ist auch Takamori Saigo, an den eine grosse Statue beim Kagoshima City Museum of Art erinnert. Er war ein Gegner der Öffnung Japans und führte die Satsuma-Rebellion an, in der er 1877 starb. Sein Leben war Vorbild für die heroische Geschichte des «Last Samurai», die aber nicht wirklich den historischen Tatsachen entspricht. Sein Leben und Wirken wurde auch in mindestens einem Taiga Drama verarbeitet. 😉
Wie immer würde die Zeit in Kagoshima zu kurz sein. Japans südliche Metropole hätte noch einige Tage mehr verdient. Hier und da gab es pittoreske Motive der anderen Art zu entdecken: das Gummistiefel-Stilleben, oder die Orchideenpracht zu einem Firmenfest neben unserem Hotel. Der wunderschöne Garten Sengan-en (separater Beitrag). Viele freundliche, interessierte Einwohner:innen, nicht ganz so viele (westliche) Touristen. Und ein Postamt neben dem Bahnhof, welches freundlich und professionell ein weiteres unserer «Waren-Pakete» entgegennahm.
Schade, dass wir in diesen Tagen nicht so viel wie geplant von der Stadt haben sehen können, da auch das Umland mit seinen Sehenswürdigkeiten lockt. Noch so viel zu entdecken – Kagoshima, wir kommen hoffentlich wieder!