Von Sakata ging es am 26.10. weiter zu unserer nächsten Basisstation, Tendō Onsen. Nach dem Check-out im Ryokan in Sakata konnten wir die beiden Stunden bis zur Abfahrt des Busses gemütlich im Miraini verbringen (siehe Blogeintrag).
An sich war von Sakata nach Tendō eine Zugfahrt geplant. Doch auch hier war die Strecke seit geraumer Zeit unterbrochen (wegen Bauarbeiten an einer Strasse in der Nähe der Bahnlinie) und es gab einen Busersatzverkehr. Zum Glück fuhr ein moderner Reisebus mit genügend Platz fürs Gepäck, das hatten wir rechtzeitig erfragt. Normalerweise fahren wir ja lieber Zug, aber wenn doch mal Bus notwendig ist, dann vertrauen wir uns sehr gerne den tiefenentspannten japanischen Busfahrern (bewusst männliche Form) an. Sie fahren so extrem defensiv, dass es fast unheimlich ist. Nach wie vor bin ich ja der Meinung, sie stehen unter Valium. 😉

Zu unserer Tagesreise war der mal wieder regnerische Tag passend. Alles war ziemlich verhangen, hatte aber auch so seine Romantik. Nach der Shonai-Ebene mit den Reisfeldern und den futternden Schwänen ging es flussaufwärts entlang dem Mokamigawa, dem Fluss, der bei Sakata ins Meer mündet.

Auffallend waren auch die Metallzäune, die die Strasse etappenweise begleiteten, und die als Schnee- und Windschutz gedacht sind.


Auch die Baustelle passierten wir.



Nach eineinhalb Stunden Fahrt war in der Stadt Shinjō Endstation bzw. der Umstieg in den Lokalzug nach Tendō, das wir dann nach einer weiteren Stunde erreichten.
Dort hatten wir Glück, eine kleine Regenpause zu erwischen, um trocken zu unserer Unterkunft laufen zu können, und als wir diese erreichten und uns in unserem edlen Zimmer installiert hatten, war der Tag schon fast wieder um.


In einem japanischen Onsenort gilt als Herberge der ersten Wahl ein sogenanntes Onsenhotel. Das sind von aussen gesehen riesige, eher unansehnliche Kästen. Sie bestechen durch ihre inneren Qualitäten: unübertroffener Service, traditionelle Zimmer mit Tatami, ein grosszügiges Thermalbad und natürlich perfektes japanisches Essen mit lokalen Köstlichkeiten.


In der Regel verbringt die/der japanische Onsenbesucher:in dort eine Nacht mit Halbpension. Wir blieben drei Nächte, was eher ungewöhnlich ist, allerdings hatten wir nur an einem Abend das Essen mitgebucht (es wird sonst schlicht zu üppig). Dort wird vor allem Kaiseki-Küche serviert, die hohe japanische Kochkunst, die mit unendlichen Feinheiten aufwartet, die sich ungeschulten Augen nicht erschliessen. Unsere Lehrern Inoue-san hat uns da ein bisschen was beigebracht. Dass regionale und saisonale Spezialitäten zum Zuge kommen, ist sowieso ein „Must“. Die saisonale Zusammensetzung der Speisen sowie die Anrichtung wird kunstvoll dekoriert, wie zum Beispiel mit einer (essbaren) Dekoration eines sich rötenden Ahornblatts für den Herbst. Alles hat seinen Sinn.


Und auch beim Frühstück gab es eine wunderbare, leckere Auswahl an herbstlichen Gemüsen und Spezialiäten.

Mehr als zwei Tage kann man diese Üppigkeit aber nicht durchhalten. Also suchten wir die Schlichtheit für die übrigen Tage im nahegelegenen Soba-/Udon-Restaurant. Es verpflegte uns die restlichen beiden Abende ebenfalls gut und ausreichend. 😉



Im Hotel wurden wir unendlich höflich von sechs reizenden jungen Damen im Kimono empfangen, die sich unbedingt selber mit unseren schweren Koffern abmühen wollten. Intervention zwecklos. Zwei warteten dann dezent im Hintergrund, bis der Check-in erledigt war und geleiteten uns dann auf unser Zimmer, wo sie uns allen Komfort erläuterten.
Und eben, der Knaller war unser Zimmer. Warum wir diese riesige und ziemlich luxuriöse Variante bekommen haben, war uns nicht ganz klar. Thom hatte diese nicht gebucht, denn diese Kategorie sprengt unser Budget. Das Hotel war gut ausgelastet mit einigen asiatischen Reisegruppen. Vielleicht haben sie uns als Long-staying-guests einfach grosszügig upgegradet? Jedenfalls waren wir recht sprachlos über das grosszügige, wunderschöne 12 Tatami-Zimmer.




So viel Platz haben wir in Japan noch nie gehabt. Dazu kam der grosszügige Genkan (der Eingangsbereich) und der Nassbereich (nur Waschbecken). Insbesondere die separate Toilette, die uns beim Betreten immer freudig mit einem Piepton begrüsste und gleich bereitwillig ihren Deckel von selbst öffnete, haben wir richtig liebgewonnen während dieser drei Tage.
Dass die Futons natürlich aussergewöhnlich komfortabel waren, muss gar nicht erst erwähnt werden.
Das Highlight war aber der private Rotemburo (Aussenbecken/-bad) auf der Veranda. Zwar war dort kein Thermalwasser (das gibt es nur im Hotelbad), aber wir bevorzugten es dann für den morgendlichen und abendlichen Wasch- und Entspannungsgang, denn zum einen war der Weg zum Bad ziemlich weit, und der dortige Rotemburo nicht so attraktiv. Zudem ist es selten, dass wir mal gemeinsam im heissen Wasser sitzen können. Zum Glück passten wir auch beide rein. 😊


Unseren Velos, die für grosse Augen beim Personal sorgten, bekamen ein trockenes Plätzchen beim Schneepflug, der in einigen Wochen zum Einsatz kommen würde. Yamagata ist eine der schneereichsten Präfekturen Japans.

Tendō selbst war als Basisstation für unsere beiden Ausflüge nach Ginzan Onsen und Yamagata gedacht. Die Sehenswürdigkeiten sind eher überschaubar, aber vielleicht wäre ein zusätzlicher Tag auch noch interessant gewesen, um ein paar Spezialitäten des Städtchens, das aus einen normalen und einem Badeortteil besteht, zusätzlich erkunden zu können. Zum Beispiel gab es – gemäss Website – das grösste Rotemburo von Tohoku in einem öffentlichen Bad. In einem anderen Onsenhotel gibt es auch eine Craft-Bier-Brauerei. Thom kam vom Bierholen ganz platt zurück: Dort war alles noch viel moderner und luxuriöser als in unserem, ja nicht gerade schlechten Hotel.
Uns interessierte eher das Hiroshige Museum, und dort erschlossen sich uns die Werke des Meisters der japanische Farbholzschnitte aus einer neuen Perspektive. Bislang kannten wir vor allem die (bekannten) Ukiyo-e-Bilder. Hier waren es auch viele illustrierte Gedichtbände und sogenannte Entlohnungswerke für Bauern und Grundstückbesitzer, die für den damaligen Daimyo (den Gebietsherrscher) Frohndienste leisten mussten. Die Kunstgeschenke, die sie erhielten, waren als Belohnung und Entschädigungen gedacht.


Drollig war der kleine mobile Sobastand, der auf den Schultern getragen wurde. Bereits im 19. Jahrhundert (oder sogar früher) gab es diese Form der Strassenverpflegung!

Tendō wartet mit zwei Spezialitäten auf: Zum einen die besondere Birne «La France» (original ラフランス), deren Saison jetzt gerade war, zum anderen «Shōgi», die japanische Form des Schachs. Auch das war neu für uns. Die besondere Form der Steine wird zu allerlei örtlichen Verzierungen genutzt, wie es in Japan üblich ist.




Im Bahnhof befindet sich zudem das Shōgi-Museum, und in einem öffentlichen Spielraum gleich daneben kann man gegeneinander antreten.
Kommen wir auf die Birne zurück. Just als wir dort waren, war der erste Verkaufstag dieses besonderen Obsts, der regelrecht zelebriert wird. Staunend standen wir im Bahnhof Yamagata vor diesem Riesenobst, dessen Exemplar sicher an die 600 Gramm wiegt.

Gerne hätten wir eine (für immerhin YEN 550) probiert, wurden dann aber aufgeklärt, dass sie erst in zweieinhalb Wochen essbereit wäre. Echt? Eine Birne noch bis zum Abflug mit uns zu tragen war unrealistisch, und auch die nette ältere Verkäuferin, eine richtig liebe, emsige «Obā-san» (Grossmutter), hat das wohl nicht gesehen. Liebend gerne hätte sie uns zwei verkauft. So mussten wir leider auf das teure Obst verzichten.
Wie wir noch erfuhren ist die Gegend auch noch für ihre Kirschen bekannt. Zur Abwechslung also nicht die Blüten, sondern das Obst. Auf den nahen Bergen lässt es sich wohl auch vortrefflich wandern. Schade dass wir nicht mehr Zeit für diesen kleinen, sympathischen, unspektakulären Ort hatten.

