Nach der gestrigen Fehlplanung starteten wir also einen neuen Versuch, Tsuroka kennenzulernen. Dieselbe Zeremonie in der Frühe nochmals: Zum Bahnhof radeln (sind ja doch 2 km), Birdys einpacken, hin und rein in den Zug, in Tsuruoka auspacken, entfalten und los. Klingt umständlich, und ist es gelegentlich auch. Zumal das Schleppen des 16 Kilogramm-Rads auch nicht immer ein Vergnügen ist, vor allem, wenn an ländlichen Bahnhöfen der Aufzug fehlt. Nichtsdestotrotz werden wir die Räder aber mitnehmen, so lange es geht, denn unser Radius erweitert sich einfach enorm.
Auch in Tsuruoka liegt der Bahnhof gut eineinhalb Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, wenn man die einstige Einkaufsstrasse, das ehemalige Schlossgelände sowie einige städtische Einrichtungen und Gebäude als Zentrum bezeichnen will.

Drum radelten wir erst einmal, vorbei an einem kleinen Tempel mit einer prächtigen alten Zelkovia zur einstigen Einkaufsstrasse Ginza-dori, und bereits auf dem Weg dorthin fanden wir einige spannende Motive, die den dramatischen Strukturwandel der kleinen Städte auf dem Lande bildlich verdeutlichen.



Zu diesem Zustand führte auch, dass ausserhalb der Städte riesige Shopping Malls, Einkaufszentren und Grossmärkte entstanden sind. Die japanischen Vorstädte sind extrem ausgedehnt und nicht schön. Unserem Eindruck nach wirken sie extrem amerikanisch (wobei wir das nicht so recht einschätzen können). Was für die Autofahrer praktisch ist, saugt noch den Rest an Leben aus den aussterbenden Innenstädten.
Immer wieder kamen wir an spannenden alten Gebäuden vorbei. Zwar waren einige noch in Betrieb, viele aber nicht.





Viele Häuser, Gebäude oder Geschäfte, einst erbaut in den boomenden sechziger oder siebziger Jahren, sind verlassen oder wirken heruntergekommen. Spätestens mit der Rezession der neunziger Jahre und die Entvölkerung der ländlichen Gebiete setzte die Abwärtsspirale ein. Manche Gemeinden oder Städte versuchen der Entwicklung zu trotzen, etwa durch die Schaffung von neuen sozialen Zentren mit neuer Architektur (wie z.B. beschrieben in Kazuno oder auch Nobeoka). Doch vieles andere stirbt oder zerfällt. Und vermutlich fehlt es in vielen Gemeinden auch an Geld. Inwieweit Japans Regierung hier aktiv ist, erschliesst sich uns momentan nicht. Thom muss dazu mal ein paar Bücher lesen. 😉

Zu sehen gibt es in Tsuruoka nichts bahnbrechendes, aber das braucht es auch nicht immer. Wir fuhren zuerst in Richtung einstigem Schlosspark. Dort in der Nähe steht eine 1913 erbaute katholische Kirche im Meiji-Stil, in die man auch hinein konnte. Ein Schild wies zudem darauf hin, dass der daneben liegende Kindergarten bereits 1925 gegründet worden ist.


Der Schlosspark ist jetzt ein Park, in dem sich auch der Shonai-Schrein und en Kulturmuseum befindet (haben wir uns aber nicht angeschaut…).

Im Schrein wurde ein kleiner Junge in beeindruckendem traditionellen Gewand vom Priester begrüsst. Die Mutter im Kimono, der Vater im Anzug. Kaum war die Zeremonie vorbei, durfte der Junge aus den umständlichen Schläppchen raus und wieder in die Turnschuhe, was ziemlich witzig aussah. Auf dem Bild sieht man es nicht – ich konnte ja schlecht ungeniert von vorne draufhalten…

Der grosse Iris-Teich wirkte in dieser Jahreszeit natürlich etwas trostlos. Er muss im Mai sehr hübsch aussehen, wenn alles in Blüte steht.

Das Chido Museum (致道博物館) direkt daneben ist ein kleines Museumsdorf mit Meiji-Gebäuden und traditionellen Gebäuden aus der Tsuruoka-Gegend, die man hierher versetzt hat, um sie zu bewahren. Zu erfahren ist auch etwas über lokale Geschichte und Handwerk. Falls jemand mal nach Tsuruoka kommt, empfiehlt sich der Besuch.




Und im kleinen japanischen Garten, in dem sich das Laub langsam rötlich verfärbte, kann man z.B. ein Selfie machen.


In einigen Gebäuden hiess es wie so oft: Schuhe ausziehen, um die alten Holzböden zu schonen. Frage an die Leser: Welche Schuhe sind die von Thomas? 😉
