Wiedersehen mit Miyajima

In Hiroshima sind die Sehenswürdigkeiten derzeit ausserordentlich überschaubar: Museen: geschlossen. Gärten: geschlossen. Burg-Schloss: geschlossen. Etc.. Daher war einer unserer ersten Ausflüge nach der Ankunft in Hiroshima die Fahrt nach Miyajima, sowieso ein Must-See bei Japan-Ferien. Der Insel in der Bucht vor Hiroshima haben wir auf unserer 2. Japan-Reise einen Besuch abgestattet, das war 2007. Nun mussten wir nach so vielen Jahren schon mal wieder vorbeischauen. 😉

Bekannt ist Miyajima vor allem durch den im Wasser liegenden roten Torii des Itsukushima Jinja. Alle Schreine und Tempel auf der Insel gehören gemeinsam zum Unesco-Weltkulturerbe. Diese waren auch noch zugänglich. Auch die Seilbahn zum höchsten Berg der Insel, den Misen, war normal in Betrieb. Einen Tag später gab Regierungschef Abe dann den Entscheid zum „halben Lockdown“ in Japan bekannt und die Ropeway ist inzwischen bis 6.5. geschlossen. Wir haben mal wieder ziemlich Glück gehabt…

Man erreicht Miyajima nach ca. 30 Minuten Zugfahrt ab Bahnhof Hiroshima bis zur Station Miyajimaguchi. Im Zug quasselt eine ziemlich nervige englische Ansagerin vom Band, offenbar für völlig unterbelichtete Menschen. Was mal wieder ahnen lässt, dass die Insel inzwischen von sehr vielen Touristen heimgesucht wird…

Vom Bahnhof läuft man zum Fährterminal, wo gleich zwei Schiffsgesellschaften für die kurze Schiffsfahrt um Gäste buhlen. Wir blieben Japan-Rail treu und mussten uns mit der Handvoll anderer Reisenden auch nicht um die besten Plätze auf dem Schiff balgen.

Die Fähre macht extra einen Schlenker, damit man den roten Torii bereits auf der Vorbeifahrt bewundern kann, also hatten wir die Kameras schon griffbereit. Zuerst sahen wir nichts, und auch als wir der Insel näher kamen, war immer noch nichts zu entdecken – ausser ein weiss eingepacktes Ding auf dem Wasser. Oh je, böser Verdacht: Der Torii wurde saniert… Was für eine fotografische Tragödie! 😯

Nun ja, die Arbeiten haben im Juli 2019 begonnen, und es hätte uns ja nicht von einem Besuch der Insel abgehalten. Solch ein Torii braucht ja auch gute Pflege, denn er ist in seinem derzeitigen Zustand schon weit über 100 Jahre alt und erst das achte Exemplar seit seiner Errichtung im frühen 12. Jahrhundert. Zum Glück hatten wir ihn in voller Pracht schon einmal gesehen. Hier das Postkartenfoto vom Dezember 2007, inklusiv Hirsche.

Nach Ankunft stellten wir fest, dass sich in den letzten 12 ½ Jahren nur wenig verändert hatte. An vieles konnten wir uns erinnern. Die Promenade zum Schrein war um ein, zwei Neubauten ergänzt worden. Unter anderem gibt es jetzt ganz neu einen Starbucks und eine Bierbrauerei, die allerdings geschlossen war. Das Bier hatten wir bereits in Hiroshima probiert und es hat uns nicht grade umgeworfen. Also konnten wir es verkraften, vor verschlossener Tür zu stehen.😉

Alles wirkt immer noch sehr aufgeräumt, lag aber recht verwaist da. Praktisch alle Geschäfte und Restaurants hatten geschlossen. Wie wir später erzählt bekamen, haben auch die wenigen Ryokane aufgrund der Massenstornierungen ihren Betrieb bis Anfang Mai eingestellt. Natürlich genossen wir es ausserordentlich, den ganzen Tag praktisch alleine herumzuwandern, aber etwas unheimlich war das alles schon, allein wegen der finanziellen Situation für die vielen Einrichtungen.

Von all dem weiss der Miyajima Deer nix. Die kleine Hirschart lebt frei auf der Insel und man begegnet ihnen auf Schritt und Tritt. Zutraulich sind sie nicht, und sie wollen nicht unbedingt begrapscht werden, aber man kann ihnen nahe kommen. Zum Glück sind sie nicht ganz so verfressen wie ihre Kollegen in Nara, sondern bleiben friedlich liegen. Manche scheinen jedoch zu den menschlichen Inselbewohnern eine engere Beziehung zu haben.

Dem schönen, in weiss-rot gehaltenen Itsukushima Schrein widmeten wir natürlich einen ausführlichen Besuch. Dort wandert man auf einer kleinen Route über die Holzstege. Im Prinzip wäre Wasser darunter, zumindest unter einem Teil der Konstruktion, aber es war Ebbe zu diesem Zeitpunkt.

Die wenigen Gäste kamen sich nicht in die Quere, und offenbar nutzt man die ruhige Zeit im Schrein für den Unterhalt. Ein Schreinsangestellter war mit „Lämpchenkontrolle“ beschäftigt und hatte gut zu tun, denn es gibt ziemlich viele davon. Die hübschen, sicher recht alten Lampen haben mir bereits 2007 sehr gut gefallen.

 

Danach schauten wir das im Christo-Stil eingepackte Denkmal nochmals aus der Nähe an, bevor wir zum Daishō-in-Tempel weiterwanderten, bei dem dann auch die Route zum Aufstieg auf den Berg Misen beginnt.

Auch diesen hatten wir 2007 besucht, und waren nun über die zahlreichen kleinen, drolligen Steinskulpturen überrascht. Sie sahen recht neu aus, hatten allesamt ganz individuelle Gesichter und waren mit bunten Mützchen ausgestattet. Überhaupt beeindruckte uns die gesamte, sehr schön angelegte Tempelanlage mit ihren zahlreichen Einzelgebäuden wieder sehr.

Dann starteten wir den Aufstieg auf den Berg Misen mit seinen 529 Metern. Das klingt erstmal herzig für Alpenländer, ist aber nicht zu unterschätzen, denn man startet ja wirklich auf Meereshöhe, und der Weg auf den Gipfel ist nur 2,4 Kilometer lang. Was gemäss Internet-Rechner eine Steigung von über 20% ergibt. Ergo läuft man fast pausenlos nur Treppenstufen nach oben. Ganz schön anstrengend, obwohl wir seit Beginn unserer Reise ziemlich viele Treppenstufen zu diversen Tempeln und Schreinen bewältigt und uns damit hoffentlich genügend Seelenheil bis zur nächsten Japan-Reise erarbeitet haben. 😊 Jedenfalls ist der Aufstieg durch das steile Tal landschaftlich auch recht beeindruckend.

Über den sehr gut ausgebauten Weg wunderten wir uns allerdings: War der das letzte Mal auch schon so gewesen?

Wie uns ein auf Miyajima lebender Amerikaner dann mitteilte, mit dem wir uns später auf dem Gipfel unterhalten konnten, hatten wir das schon korrekt in Erinnerung. 2018 war der Weg durch einen schweren Taifun weggerissen worden. Dies war nun der Neue. Er war somit bequemer, aber nicht unbedingt flacher geworden…

Bereits zu Beginn warnten Schilder vor der gefährlichen Viper, die auf der Insel verbreitet ist.

So richtig ernst nahmen wir das nicht – bis Thom fast auf eine draufgetreten ist. Kurze Schrecksekunde, zum Glück hat sie sich blitzschnell verkrochen. Danach guckten wir natürlich etwas genauer, wo wir unser Füsse hinsetzten… Wir sahen dann noch eine weitere kleinere, nicht-giftige Schlange, und irgendetwas Grösseres raschelte irgendwo neben uns im Wald. Ein entgegenkommender Wanderers hatte wohl einen Affen gesehen, den wir aber nicht zu Gesicht bekamen. Vögel sind mehr als genug zu hören, vor allem die japanische Nachtigall mit ihrem typischen Ruf. Solch eine kleine Safari hatten wir auf Miyajima jetzt nicht unbedingt erwartet…

Nach 90 Minuten erreichten wir nach durchaus zügigem Aufstieg planmässig den Gipfel – und trauten unseren Augen nicht: Dort gab es jetzt ein schickes „Gipfelhaus“ mit voll ausgerüsteter Toilette und einen Insel-Infostand, bei dem uns ein netter älterer Herr leckere, selbstgemachte Bonbons verkaufte und uns noch einige Informationen zur Insel gab.

Von der Plattform aus hat man immer noch einen tollen 360°-Blick über die Bucht von Hiroshima und die Seto naikai, das Seto Binnenmeer zwischen der Hauptinsel Honshū und dem kleineren Shikoku.

Urplötzlich tauchten dann Wanderer von allen Seiten auf, sowohl Japaner als auch westliche BesucherInnen. Auf dem Misen treffen sich mehrere Aufstiegsrouten. Auch der kurze, von der Ropeway kommende Weg. Daher der plötzliche Mini-Rummel. Vorteil: Jemand konnte ein Foto von uns machen. 😊

Im Übrigen ist der Berg auch ein Pilgerort. Bereits im 9. Jahrhundert soll  (wieder einmal) der uns bereits gut bekannte Mönch Kōbō Daishi, der Begründer der Shingon-Sekte, auf den Misen gestiegen sein und dort meditiert haben. Das Feuer, das in der „Halle des ewigen Feuers“ etwas unterhalb des Gipfels brennt, soll dasselbe sein, das er einst entzündet hat.

Wir machten uns auf den Weg zur Ropeway, um unseren Knochen und Knien den steilen Abstieg zu ersparen und konnten uns eine Gondel teilen. Es war schon relativ spät geworden, und die Bahn hatte bald Feierabend. Also begegnete uns bei der Talfahrt auch niemand mehr.

Von der Talstation sind es nochmals zehn Minuten zu Fuss, dann erreicht man den Schrein wieder, der sich in der Abendsonne und mehr Wasser nochmals besonders schön präsentierte. Der anschliessende Gang durch die sehr einsame daliegende Einkaufsstrasse machte uns dann schlagartig wieder die spezielle Situation bewusst, in der sich die Welt derzeit befindet. Denn ansonsten ist dort ein sehr lebhaftes Getümmel.

Inzwischen waren wir wirklich hungrig, denn bis auf das Frühstück und zwei Bonbons hatten wir nichts bekommen. Auf Miyajima gab es nichts mehr, und die Spezialität, die „Momiji“, die wir bei einem noch offenen Hersteller kaufen konnten, war zum Mitnehmen gedacht. Also bestiegen wir rasch wieder das Schiff, in der Hoffnung, auf der Landseite etwas zum Essen zu finden. Und noch ein letzter Blick galt dem eingepackten Torii. Grund für einen weiteren Besuch – zum Beispiel nach seiner Sanierung, die bis 2022 andauern wird. 😉

Zum Glück gab es auf dem Weg zur Bahnstation noch ein offenes Restaurant, in dem wir etwas zu Abend essen konnten. An sich hätten wir es auch lustig gefunden, mit dem Tram zurückzufahren. Diese braucht aber 85 Minuten bis zum Bahnhof Hiroshima – eine halbe Ewigkeit, und wir waren sowieso schon müde genug. Wir sind halt doch eher Velofahrer und keine Bergsteiger…

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