Von Matsuyama nach Shimanto-shi mit der JR Yodo Line / 予土線

Am 13.12. war dann Abschied von Matsuyama (ich bin immer noch sehr im Rückstand mit meinen Blogbeiträgen…). Unser nächstes Ziel hiess Nakamura (中村) bzw. Shimanto-shi (四万十市) in der Präfektur Kochi. Dazu würden wir von Matsuyama den Zug nach Uwajima nehmen, und von dort mit der JR Yodo Linie an die pazifische Küste fahren.

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Zu Matsuyama gibt es natürlich noch haufenweise Details zu erzählen. Warum wir uns in dieser Stadt so wohl fühlen, haben Thom und ich schon viel diskutiert. Es liegt z.B. daran, dass Matsuyama eine ganz normale Stadt ist. Es gibt dort nichts Besonderes, was die Bewohner dazu veranlassen könnte, in irgendeiner Art und Weise abzuheben. Also geht es dort recht geruhsam und freundlich zu.
Shikoku gilt für viele Japaner auch als eine ländliche Region, weit weg von Tokyo. Wenn wir Japaner erklären, dass wir dort schon waren bzw. hinfahren, kommt oftmals eine erstaunte Reaktion. Was wir als Japanisch-Lernenden besonders schätzen: Man wird so gut wie nie auf Englisch angesprochen, was wir z.B. in anderen, touristischeren Städten (Nagoya, Kyoto, Takayama, …) als etwas nervig (aber auch als nachvollziehbar) empfinden.

Und weil wir alles inzwischen so gut kennen, mögen wir es umso mehr. Etwa auch die uralten Strassenbahnwagen aus den 60er Jahren, die immer noch brav, holpernd und polternd ihren Dienst verrichten.

Auch am Sonntag fuhren wir – nach dem letzten Kaffee bei  unserem Stamm-Starbucks Matsuyama-Okaido – mit einem alten Tram zum Bahnhof. Die Abfahrtszeit war 10:14 Uhr, aber wir waren zeitig dort. Entgegen aller früheren Voraussagen war es strahlendes Reisewetter für unsere Zugsfahrt durch das Shimantogawa-Tal.

Die erste Überraschung des Tages war Imai-san, die plötzlich auf dem Bahnsteig vor uns uns stand. Mit ihr hatten wir nun gar nicht gerechnet. Aber dann fiel uns ein, dass sie uns mal – ganz beiläufig natürlich – mal nach unseren Abreiseplänen befragt hatte.

Um die sogenannte Kaisatsugutchi zu passieren, hatte sie sogar eine Bahnsteigkarte gelöst. Das System der Bahnsteigsperre, in Japan ganz selbstverständlich, gibt es in Deutschland seit den 60er/70er Jahren nicht mehr.  Wir haben uns sehr gefreut und waren sehr gerührt.  Ein Abschiedsbild gab es auch noch.

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In Uwajima mussten wir dann rasch umsteigen in das Züglein, dass uns die nächsten 2h quer durch das südliche Shikoku bringen sollte. Wieder ein „Wanman“-Zug: Die Fahrgäste. Der Fahrer. Und weiter nichts. Auch keine Toilette.

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Das hat mir im Vorfeld am meisten Kopfzerbrechen bereitet. Die Fahrzeit von Matsuyama bis Nakamura beträgt knappe 5 Stunden. Im Zug von Matsuyama bis Uwajima gibt es noch Toiletten. Es sind allerdings nur japanische Hocktoiletten. Jeder Toilettengang ist also eine äusserst herausfordernde Disziplin in einem Pendelzug, der sich dynamisch in jede Kurve legt. Die Umstiegszeit in Uwajima würde nicht reichen, und von Uwajima bis Nakamura (Fahrzeit etwas über 3 Stunden) war dann mit keiner Toilette zu rechnen. Also keine Reise für Blasenschwache. Ab 10:30 Uhr hatten wir uns also das Trinken sicherheitshalber untersagt.

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Nur etwa die Hälfte der wenigen Fahrgäste im alten Wanman-Wagen waren Zugverbindungsfans, die extra diese Linie fuhren. Für die Schüler, Mütter und älteren Leute ist es einfach eine ganz normale Bahnlinie. Unser ganzes Gepäck nahm ca. 1/10 des Zugs ein. Wir waren froh, dass es nicht voller war.

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Pünktlich war die Abfahrt, und wirklich sehr gemächlich das Tempo. Geschätzte 40 km/h. Naja, um ca. 80 Kilometer in 2 Stunden zurückzulegen, braucht es keine Hochgeschwindigkeit. Der Weg ist schliesslich das Ziel. Entschleunigung pur.

Bald darauf näherten wir uns dem Bahnhof Matsumaru, wo wir letztes Wochenende die Sake-Brauerei mit Imai-san’s Freundin Hitomi-san angeschaut hatten. Der Zug hielt, wir dachten an nichts Böses, und plötzlich stand Hitomi-san in der Zugstür, drückte uns eine Tüte Mikan in die Hände, wünschte uns frohe Fahrt und freute sich, dass wir für diese solch schönes Wetter erwischt hatten. Wir waren so verdattert, dass wir nur noch „domo arigato“ sagen konnten, denn dann schlossen sich die Türen auch schon wieder. Die zweite Überraschung des Tages, und ich ärgerte mich masslos, dass ich kein O-Miyage griffbereit gehabt hatte. Aber darauf waren wir nun wirklich nicht vorbereitet gewesen. Immerhin hat es noch für ein Foto von der winkenden Hitomi-san gereicht.

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Wir hatten weiter genügend Zeit, Landschaft und Bahnlinie zu betrachten. Hier ein Blick in den Führerstand. Das rote Kästchen ist übrigens der besagte Automat, an dem man das Nümmerchen mit der Zugstiegsstation zieht.

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Nach einer Stunde erreichten wir Ekawasaki (江川崎) – und es gab eine fünfminütige Pinkelpause!! Die Hälfte der Fahrgäste rannte zu den paar Toiletten, der Fahrer übrigens auch (aber in würdigerem Tempo). 😉 Wunderbar!

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Hier mündet der Hiromigawa Fluss (広見川), an dem wir bisher entlang gefahren waren, in den Shimantogawa (四万十川). Dieser ist übrigens mit 196 km der längste Fluss Japans und gilt auch als der Schönste und Sauberste, da er vollständig unverbaut ist und glücklicherweise durch ein sehr dünn besiedeltes und wirtschaftlich unerschlossenes Gebiet fliesst. In dem engen Flusstal ist auch schlicht kein Platz für Erschliessung.

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Die Eisenbahnlinie führt ab Ekawasaki ein gutes Stück flussaufwärts entlang, auch mit vielen Tunnels, da es sehr bergig ist. Flussabwärts erreicht der Shimantogawa nach 40 km Nakamura. Dieser Abschnitt ist eine beliebte Radtour, die wir uns selbstverständlich auch vorgenommen haben.

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Nach einer weiteren Stunde Fahrt mit sehr schönen Ausblicken auf den Fluss hiess es für uns dann Ausstieg in Wakai. Das Wort Bahnhof wäre hier extrem übertrieben, denn es handelt sich um einen Bahnsteig mit kleinem Wartehäuschen, wirklich im Nichts.

Sicherheitshalber fragte ich noch den freundlichen Zugführer, ob das nun wirklich der Umstiegsbahnhof nach Nakamura war. War es. Und ein FC Basel-Fan irrt nicht. 😉
Der Fahrer hatte in Ekawasaki gefragt, wo wir herkommen, und bei der Erwähnung der Schweiz leuchtende Augen bekommen. Er kennt Basel vom Fussball her. Zur Vertiefung des Gesprächs hat es leider nicht mehr gereicht.

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Gut, dass es so schönes, mildes Wetter war. Auch der nächste Zug nach Nakamura war wieder ein Wanman, sogar richtig weihnachtlich herausgeputzt.

Die pazifische Küste liegt dann nur noch 15 Zugminuten weiter. Ein sehr erhebender Anblick.

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Und nach einer weitere Stunde erreichten wir dann unser Ziel Nakamura. Dort stand am Bahnhof sogar der berühmte „Anpanman“-Zug, der nach einer bei Kindern sehr beliebten Comic-Figur, dem Anpanman gewidmet ist.

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Unser hübsches, sauberes und sehr freundliches ‚New Minshuku Nakamura‘, eine ganz traditionelle japanische Pension, lag praktischerweise genau gegenüber der sehr gut ausgestatteten Touristeninformation, und wir wurden mit Informationsmaterial zu unseren nächsten Projekten bestens versorgt. Auch gab es gleich daneben eine Art Michi no eki bzw. Souvenirmarkt mit lokalen Produktion und Spezialitäten aus der gesamten Region. Gefährlich fürs Gepäck und das Portemonnaie.

Nach der stundenlangen Sitzerei tat eine kleine Velotour noch ganz gut: Wir radelten einfach 6km flussabwärts Richtung Küste, wo der Shimantogawa in den Pazifik mündet.

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Das geht auf dem Flussdamm sehr gut, und die Route ist sogar stellenweise ausgeschildert. Die Rückfahrt fuhren wir dem Sonnenuntergang entgegen. Eine schöne Abendstimmung über den Bergen und beim Strampeln, denn selbstverständlich hatten wir mal wieder Gegenwind. Es würde nicht das letzte mal sein…

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