Regenprogramm Kamakura & Umgebung

Am nächsten Tag (10.3.) liessen wir uns nach einer Jetlag-bedingten, unruhigen Nacht vom Handy wecken. Wie immer ist die erste Nacht die etwas mühsamste: ab ca. 1 Uhr sind wir hellwach und haben Mühe, wieder einzuschlafen. Dann schläft man, und wird um 6:15 Uhr Ortszeit vom Wecker aus dem Tiefschlaf geholt. Aber da muss man halt durch.

Gerädert fühlten wir uns zudem etwas vom „japanischen Feeling“. Die Futons waren zwar von guter Qualität, aber das Bodenleben ist gewöhnungsbedürftig und erstmal „herausfordernd“ nach so langer Abstinenz. O.k., dieses Schicksal ist selbst gewählt. Die erste Nacht ist immer die Schlimmste, aber zum Glück gewöhnt sich der bettverwöhnte, europäische Körper schnell an die etwas härtere Unterlage. Zumindest jetzt noch. Wer weiss, wie es in 10 Jahren aussieht… 😉

Für den heutigen, zweiten Japan-Tag war Regen angesagt, und sogar richtig viel davon am Nachmittag. Das Wetter sah gegen 7 Uhr schon mächtig trüb aus, jedoch liessen sich die Surfer offenbar nicht davon abschrecken. Der grosse Parkplatz zwischen Hotel und Strand war zur frühen Stunde schon gut besucht. Die Buchten von Kamakura (bzw. des gesamten Küstenabschnitts bis hinter Enoshima) sind nämlich ein Surferparadies. Das hatten wir noch gar nicht gewusst.

Nach einem edlen Frühstück im Hotel zogen wir mit Hotelschirmen bewaffnet los. Angesichts der Prognosen liessen wir die Velos heute stehen. Zudem hatte es eh schon leicht zu nieseln angefangen.

Erste Station war der Besuch beim „Daibutsu“, der grossen, bronzenen Buddhastatue. Der Kōtoku-in Tempel, sein Zuhause, lag nur etwa 15 Minuten Fussweg von unserem Hotel entfernt. Der Spaziergang bot die Möglichkeit, die bunte Vielfalt der Kamakura-Stadtteile Yuigahama und Hase etwas näher zu erkunden. Dort stehen modernere Wohnhäuser neben älteren Gebäuden, und zwischendrin gibt es immer wieder auch ein noch ganz traditionelles Gebäude oder altes Geschäft, wie hier einen noch tätigen Reisladen. Der kleinstädtische Mix gefällt uns sehr.

Was uns ebenfalls auffiel: überall die Hinweise auf die Tsunami Evakuationsareale. Für die zahlreichen Touristen auch auf Englisch. In Japan ist das Meer nicht nur Freund und Lebensmittellieferant, sondern kann auch Tod und Zerstörung bedeuten, wie 2011 wieder in Erinnerung gerufen wurde. Die Katastrophe des Tohoku-Erdbebens und Tsunamis  würde sich am nächsten Tag (11.3.) jähren.

Unser Hotel liegt nur ca. 300m von Strand entfernt, und von unserem Zimmer aus können wir das Meer nicht nur sehen sondern auch hören. An sich ja klassisches Ferienfeeling, aber beim Thema Tsunami wird einem doch leicht komisch zumute. Zumindest empfiehlt es sich, sich mit den örtlichen Gegebenheiten und Fluchtwegen vertraut zu machen.

Wir legten einen Stopp in einem der vielen kleinen Kaffees ein, die es in Kamakura überall gibt – dem Tourismus sei Dank. Sie bereiten dort einen äusserst leckeren Milchkaffee zu. Während wir so sassen und tranken, spazierten die Mütter aus der Nachbarschaft mit ihren Kindern vorbei, und die Shop-Damen unterhielten sich teilweise mit ihnen. Ein kleines Mädchen krähte stolz, dass sie nicht zur Schule müsse, wegen Coronavirus-Ferien. Worauf alle lachen mussten, wir inklusive. Denn das war auch für uns gut zu verstehen.

Das letzte Stück Strasse Richtung des Kōtoku-in ist voll von kleinen Geschäften, die Snacks, Souvenirs und Süssigkeiten anbieten. Am frühen Morgen waren sie noch grösstenteils geschlossen. Erstaunliche Dinge gibt es da, z.B  auch ein Kebap-Laden – den ersten, den wir in Japan gesehen haben. Er bot z.B. „Kebab-Bento“ an, türkisch-japanisches Fusion-Food. Warum nicht.

Als wir nach kurzem Weg am Tempel ankamen, war es kurz vor 10 Uhr, und es war alles ganz friedlich. Kaum eine Handvoll Menschen waren da. Den grossen Buddha hatten wir ja bereits 2006 bei unserer ersten Japanreise kennengelernt, und das Schild am Eingang wies zwei neue, aktuelle Regeln auf: 1. Man soll über dem Gelände keine Drohnen steigen lassen, 2. Man soll keine Selfie-Sticks im Innern des Buddha verwenden.

Der Buddha hat sich nicht verändert – die Welt um ihn herum schon – und wie. Und Thom und ich sind auch 14 (!) Jahre älter geworden. 🤔

Unsere Erinnerungen an ihn waren noch präsent, aber nun waren wir erneut beeindruckt von dieser riesigen Bronzefigur, die immerhin aus dem 13. Jahrhundert stammt. Wie wir lernten, ist sie aus diversen Einzelteilen kunstvoll zusammengesetzt und die Planung und Zusammensetzung eine technische Meisterleistung für diese Zeit. Man kann die Statue auch für wenige Yen von Innen betrachten und erhält so noch einen besseren Eindruck davon.

Viel hat der Buddha gesehen und erlebt: Kriege, schwerste Erdbeben, einen gewaltigen Tsunami im Jahr 1498, und noch mehr. Und er steht bzw. ruht immer noch da. Sein Ausdruck ist ernst und doch gütig zugleich, und seine Erhabenheit und Grösse ist wirklich ergreifend. Die an diesem Tag friedliche Atmosphäre machte den Besuch perfekt. Ein Regentag hat eben auch seine Vorzüge. 😊

Anschliessend machten wir uns auf zu unserem Regenprogramm: Mit der Enoden-Eisenbahn fuhren wir bis zur Endhaltestelle, der Stadt Fujisawa. In der dortigen Touristeninformation wurden wir sehr warmherzig empfangen und unterhielten uns mit der netten Angestellten. Sie berichtete uns, dass der Touristeneinbruch absolut dramatisch ist, und war drum umso erfreuter über unseren Besuch.

Anschliessend vertrödelten wir etwas Zeit im Elektronikmarkt BigCamera, denn der Regen war so stark geworden, dass an einen weiteren Spaziergang nicht zu denken war. Mit der Odakyu-Line fuhren wir anschliessend wieder nach Enoshima zurück, wo wir uns über den Bahnhof in Schreinsform wunderten und trotz Regens zuerst Richtung Strand spazierten. Der Insel Enoshima würden wir dann hoffentlich am morgigen, trockenen Tag einen Besuch abstatten können.

Die Idee, das Enoshima Aquarium besuchen zu können, war naiv, denn ein Aquarium ist ein Museum, und alle Museen sind in Japan vorerst bis 16.3. wegen Corona geschlossen.

Also guckten wir den trotz des andauernden Regens zahlreichen Surfern zu, die sich im Wasser tummelten. Naja, nasser konnten sie ja nicht mehr werden.

Wir schlenderten Richtung Ortsmitte zurück und beschlossen spontan, statt dem Enoden Bähnchen Richtung Kamakura (oben ist das Bahnhofsgebäude), die Shōnan Monorail von Enoshima nach Ōfuna zu nehmen. Noch nie bin ich in einer Schwebebahn mitgefahren, eine echte Rarität, die ich mir nicht entgehen lassen wollte. Und wir hatten Glück und konnten grade noch in die nächste, abfahrende Bahn hüpfen. Ein wirklich eigenartiges Erlebnis: Die Bahn kurvt in rasanter Geschwindigkeit über die Hügel, meist über bereits bestehende Autostrassen. Irgendwie ist es ein bisschen wie Achterbahnfahren. Der Vorteil solch einer Hochbahn ist, dass sie ja mit ihren Stelzen und der Aufhängung über alles hinwegfahren kann. Anmerkung für Zürcher: Thom meinte, dass das vielleicht noch eine Idee für die Rosengartenstrasse sein könnte… 😉

Selbstverständlich ist die Shōnan Monorail mit der einzigen deutschen Schwebebahn in Wuppertal „verschwestert“, und es gibt eine Bahnfreundschaft seit 2018 zwischen ihnen. Diese Schwesternschaften sind anscheinend beliebt. So ist z.B. auch die Hakone-Tozan-Linie (die Bahn beim Fuji-san) mit der Rhätischen Bahn eine Partnerschaft eingegangen (s. auch Blogbeitrag vom 7.1.2014).

Schnell erreichten wir Ōfuna, wo wir aber nicht blieben, sondern gleich in die JR-Linie nach Kamakura stiegen. Der Bahnlinien-Vierkampf an diesem Tag war damit erfolgreich beendet. 👍

Trotz des immer noch strömenden Regens wanderten wir tapfer noch zum Tsurugaoka Hachimangu-Schrein nördlich des Bahnhofs. Einige Damen waren da noch höchst dekorativ im Kimono unterwegs. Was sein muss, muss offenbar sein.

Auch dieser Schrein war uns noch vom 2006-Besuch in zarter Erinnerung. Den grossen, alten Ginkgo-Baum gibt es jedoch leider nicht mehr. Nach mehr als 1000 Jahren fiel er 2010 einem Unwetter zum Opfer. Seine Sprösslinge werden noch etwas Zeit benötigen.

Langsam waren wir nun wirklich durchgeweicht, und machten uns auf zurück zum Bahnhof, wo wir nochmals das Enoden-Bähnchen bestiegen, um uns noch mehr nassen Fussmarsch in Richtung Hotel zu ersparen. Dort mussten wir uns erstmal etwas trocknen, zogen dann aber wieder los, um in einem nahegelegenen Soba-Restaurant essen zu gehen.  Dieses hatte ich bereits von zuhause im Internet recherchiert. Es war eher hochpreisig, und wir wunderten uns, denn Soba, also Buchweizennudeln, gehören in Japan eher zu den sehr preiswerten Gerichten. Aber die Unterschiede liegen bekanntlich im Detail, und so auch hier: Alles war vom Feinsten, was die Zutaten angeht, sowohl bei den Vorspeisen als auch der eigentlichen Sobamahlzeit. Es galt auch für die Getränke und Desserts. Wir bestellten einen bescheidenen Dreigänger mit einem Begleitbier, während sich das Paar am Nachbartisch offenbar vorgenommen hatte, die gesamte Speisekarte abzuarbeiten. Hui, die würden eine ordentliche Rechnung bekommen. 😉

Als wir das Restaurant verliessen, um ins Hotel zurückzukehren, hatte der Regen endlich aufgehört. Unseren geliehenen Hotelschirm hatte – im teuren Restaurant- jemand anders mitgenommen. Egal, wir nahmen dafür ebenfalls einen anderen als Ersatz. Die 600 Yen-Plastikschirme fallen in Japan unter die Kategorie „Sharing“.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Japan, Kanagawa und getaggt als , , , , , , , . Fügen Sie den permalink zu Ihren Favoriten hinzu.

Kommentare sind geschlossen.