Nagoya, dritter Tag (名古屋, 18.4.), 2. Teil

Nach so viel intensivem Input und Abtauchen in die japanische Kultur brauchten wir erstmal eine Mittagspause. Bereits am Morgen hatten wir ein Unagi-Restaurant am Bahnhof Jinguumae entdeckt. Dies ist selbst für uns Nichtleser noch erkenntlich. Unagi bedeutet ‚Aal‘. Die Silben für Unagi schreiben sich in Hiragana ‚うなぎ‘, dabei wird das ‚u‘ immer als Aal-Zeichnung dargestellt. Sehr praktisch. Unagi essen wir sehr gerne – auch wenn mir die armen Aale manchmal leid tun, und ich entschuldige mich wirklich sehr bei ihnen. Aber sie schmecken in Japan einfach verdammt gut.
Die Servierdamen im Restaurant schienen zuerst skeptisch, doch als wir ihnen unsere japanischen Wortbrocken zuwarfen, reagierten sie erleichtert und nett. Das Essen war nicht zu teuer und sehr gut (es gibt extreme Unterschiede), und am Nebentisch sassen gleich noch drei der zuvor getroffenen Stein-Männer. Es gehört manchmal nicht viel dazu, sich fast daheim zu fühlen ..
Nach dem Essen schwangen wir uns wieder auf unsere Birdys. Es war eine Tour längst durch die Stadt angesagt. Nach einer erneuten Diskussion hatten uns Thom und ich auf das nächste Ziel geeinigt: das Tokugawa Art Museum, grob ca. 8km Richtung Nordosten. Also los, doch am Bahnhof Kanayama gab es erst nochmals einen Starbucks-Kaffee. Und obwohl wir eigentlich noch ziemlich satt waren, konnten wir nicht widerstehen, eine von den in Japan sehr beliebten Süss-Teilen zu probieren.

_MG_0557

Das ist ein ‚SHUGACHURO‘. Es erinnert von der Form her auch etwas an ein spanisches ‚Churro‘, schmeckt aber eher nach Zucker und etwas Zimt. Es gab mir jedenfalls (fast) den Rest. Gut, dass wir danach weiterradeln mussten, sonst wäre ich auf der nächsten Starbucks-Couch eingeschlafen…

Es war ja Samstag, und die andere Atmosphäre in der Stadt war augenscheinlich. Bei Starbucks gab es z.B. ein Gratiskonzert einer dreiköpfigen japanischen Band, die eine Art Kaffeehaus-Jazz spielte. Sehr cool, und ein paar japanische Mädels hingen förmlich an den Lippen des smarten Sänger-Gittaristen (rechts, mit weissem T-Shirt).

_MG_5695

Es passte sehr gut zum Ambiente, und wir fanden es eigentlich recht gelungen.
Nach einem Radkilometer mussten wir dann gleich wieder abbremsen, weil mir eine grosse Menschenmenge vor einem Gebäude auffiel:

_MG_0558

Was war das nun wieder? Irgendeine Veranstaltung. Hm, verdächtig war nur, dass es ca. 90% Männer fast aller Altersstufen waren. Der Fotoverkauf war vieldeutig: lauter süsse Mädels auf den Bildern.

_MG_0559

Mir schwante schon was, und ich traute mich aus Neugier mutig, zu fragen, was denn hier los sei. „Ein Konzert der Gruppe ‚Morning Musume'“ war die Antwort. Das sagte mir nun gar nichts, aber inzwischen bin ich dank Alleswisser Wikipedia schlauer. Wie ich bereits vermutet hatte, handelte es sich um eine Girlie-Band. Doch während dies bei uns eher die Teenies in zartem Alter anlockt, waren es hier vor allem männliche Fans von 18-80 Jahren …

Zwei Kilometer danach kamen wir am Tsuruma-Park vorbei. Thom brauchte ein Örtchen, und so legten wir einen weiteren Stopp ein. Auch hier spürten wir die entspannte Samstags-Atmosphäre: Eine Band spielte Live-Musik.

_MG_5700

Ältere Männer sassen beim Go-Spiel und ein Penner sortierte den Müll auf der Suche nach Alu-Dosen.

_MG_0561

 

_MG_0564

 

Parkstimmung

Hunde, Kinder oder Grosseltern wurden Spazieren geführt, und dazu malte die Hobbymaler-Gruppe den Springbrunnen und die Parklandschaft. Alle sassen friedlich auf den Bänken, ob Hundebesitzer oder Obdachloser (rechts, mit dem vollbepackten Velo).

_MG_0572

Eher im Gebüsch verborgen sass die Jugend Nagoyas, becherte tüchtig Sake und Bier, wie um zu beweisen, dass es zu einem ordentlichen Besäufnis nicht unbedingt Kirschblüten braucht. Ein normaler Samstag genügt offenbar auch.

_MG_0574

Als wir beim Tokugawa Art Museum ankamen, war es natürlich wieder recht spät. Im Museum konnten wir uns zwar Zeit lassen für die zahlreichen ausgestellten Objekte aus der Familiengeschichte der Tokugawa-Dynastie, doch für den auch sehr schönen Garten reichte die Zeit nur knapp.

_MG_5712

Dort blühte eine gigantische Masse an Pfingstrosen um die Wette. Interessant war vor allem das Riesenexemplar in blond …

_MG_0594

 

Pfingstrosen

Vom Museum radelten wir dann wieder Richtung Hotel und Bahnhof. Nach dem üppigen Mittagessen plus Starbucks-Süssteil hatten wir keine Lust auf ein Abendessen sondern beschlossen, wie die Tage vorher, uns lieber im Kaufhaus Takashimaya eine Box Sushi bzw. Sahimi zu kaufen. In den nächsten Monaten würden wir das nie wieder so frisch, billig und gut bekommen.
Auf dem Weg kamen wir nochmals durch eine kleinen historische Ecke. Mitten in Nagoya, etwas zwischen Bahnhof uns unserem Hotel, kaum 100m von der Hauptstrasse entfernt hatten wir eine Strasse von historischen Handelshäusern entdeckt.

_MG_0601

 

_MG_0600

 

Traditionelles Haus mit Dach-Schrein

In keinem Reiseführer ist das kleine Viertel erwähnt, doch es gab sogar Tafeln mit Beschreibungen auf Englisch. Das Besondere war nicht nur, dass sich die Häuser durch die Jahrhunderte erhalten hatte, sondern auch die ‚Hausschreine‘ auf den Dächern. Diese finden sich nur auf Häusern von Händlern und sollen diese vor Feuer schützen. Bis heute ist ein Feuer die weiterhin grösste Gefahr für ein traditionelles, d.h. mit Holz gebautes japanisches Haus.

Traditionelles Haus mit Dach-Schrein

Es ist immer wieder überraschend, was man entdecken kann, wenn man sich abseits der offiziellen Routen bewegt. Und mit einem Velo geht das einfach am einfachsten und besten.
Nach einem Sprung in eine Buchhandlung, wo Thom immer noch hoffte, das ultimative Japanisch-Lehrbuch zu finden, und dem Sushi-Kauf bei Takashimaya, kehrten wir dann ziemlich müde ins Hotel zurück.
Eigentlich hatten wir zuerst die Idee gehabt, die Räder in der Nähe des Bahnhofs legal zu parken, um am nächsten Tag mit etwas weniger Gepäck vom Hotel aus zur Station zu laufen. Doch Thom traute den vollautomatisierten Veloständern nicht über den Weg. Was, wenn sich morgen früh das elektronische Schloss nicht öffnen würde? Die Birdys müssten in Nagoya zurückbleiben! Totales Katastrophen-Szenario! Also stellten wir die Velos doch wieder am Hotel ab, und ich hatte eine kurze Krise wegen dem am nächsten Morgen bevorstehenden Stress mit dem Riesengepäck.
Tröstend waren da nur die letzte Portion echt japanischer Sushi, ein grosses Sapporo-Bier und das heisse Bad im 14. Stock. Und Schlafen.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Dies und das, Nagoya. Fügen Sie den permalink zu Ihren Favoriten hinzu.

Kommentare sind geschlossen.