Nagasaki – Gunkanjima/Hashima (長崎, 端島-軍艦島)

Unser Appartement war wirklich eine gute Wahl, was die Lage anging. Zwar ist die Aussicht rund um uns herum etwas ungewohnt grossstädtisch. Die Hauptsache war für uns, dass es trotz der Nähe zu Bahnhof, Einkaufsmöglichkeiten und Sehenswürdigkeiten in diesem Viertel völlig ruhig war. So konnten wir sehr gut schlafen. Das „Niederdorf“ von Nagasaki, sprich das Kneipen- und Ausgehviertel, liegt glücklicherweise ganz woanders. 😉
Weil es eine Eckwohnung und dazu noch im obersten 7. Stock ist, war die Wohnung schön hell. Allerdings kühlte es mangels Isolierung durch die Nachbarwohnungen auch stärker ab. Man kann halt nicht alles haben…

Unsere erste Frühstückszubereitung japanischer Art (Reis, Fisch, Miso-Suppe, Tsukemono, Natto und Salat) fiel natürlich etwas bescheidener aus als im Hotel. Aber es hat gut geschmeckt. Alles kein Problem mit den richtigen Zutaten.

Das Wetter war schön und klar, aber weiterhin kalt. Der Wetterbericht vermeldete 4-5°C in der Frühe, und mehr als 8°C sollten es über Tag nicht werden. Zumal immer noch der fiese, starke Wind blies. Wir konnten also den Ausflug zur Insel Hashima weiter ins Auge fassen, denn bei schlechtem Wetter ist dieser nicht möglich.

Am Abend vorher hatte die Online-Reservation bei der Ausflugsfirma dummerweise nicht geklappt. Also radelten wir gleich in der Frühe zur Fährhaltestelle – noch vor unserem Kaffeeritual! Das ganz neue, grosse Schiff des Anbieters „Gunkanjima-Consierge“ sah schon mal sehr vertrauenserweckend aus. Zwar war das Büro noch geschlossen, aber als ich eine vorbeilaufenden Angestellten fragte, wie wir weiter vorgehen könnten, bat sie uns herein, und wir konnten die Tickets kaufen. Allerdings wollte sie uns nicht versprechen, dass wir die Insel auch tatsächlich betreten konnten. Aufgrund des starken, böigen Windes waren die Bedingungen gar nicht so gut dafür.

Die Stunde bis zum Beginn des Check-in konnten wir noch unseren Kaffee bei Starbucks trinken, dann stellten wir uns brav in die sich rasch bildende Schlange vor dem Fährhaus. Die Aufpasserinnen achteten streng darauf, dass niemand sich vordrängelte. Man liest und unterschreibt ein Formular mit den Do’s und Don’ts, und das alles auf eigene Gefahr geschieht, bekommt seine Hundemarke plus als Gaijin einen Empfänger für das englische Übersetzungsprogramm.

Die Erklärungen begannen schon im Hafen Nagasakis, denn dort sind mehrere weitere Unesco-Stätten der Meiji-Zeit enthalten, die allerdings nicht besucht werden können (bzw. nur das Kosuke Slip Dock). Die riesige Werft plus das gesamte Gelände gehört der „Mitsubishi Heavy Industry“. Der „Giant Cantilever Crane“, der älteste Schiffsbaukran Japans von 1909, ist immerhin weithin sichtbar. Das ganz neue Schiff daneben ist für den Transport von Flüssiggas gebaut und war erst einige Tage zuvor aus dem Dock gezogen worden.


Kirche auf der Nachbarinsel Takashima

Das Schiff hat eher Flugzeug-Charakter: Viele Sitzreihen, bequeme Sessel, nichts mit Aufstehen und Herumlaufen. Ausserdem war es auch zu voll.  Also wechselte ich – trotz Warnungen – doch wieder aufs Aussendeck. Der Wind war kalt, und die See sehr bewegt, aber ich wollte trotzdem versuchen, Fotos zu machen. Alle Tapferen bekamen fürsorglich einen „Touristen-Bratschlauch“ angeboten, ein dünnes Regen-Plastikmäntelchen. Höchst unkleidsam, schützt aber tatsächlich gegen den Wind.

Hashima (auch Gunkanjima, engl. Battleship Island), eine Insel vor der Bucht von Nagasaki, gehört ebenfalls zum bereits mehrfach erwähnten Unesco Weltkulturerbe Meiji Industrial Heritage. Weil ihre Form durch die Bauten zunehmend einem Kriegsschiff ähnelte bekam sie schon früh den Beinamen Gunkanshima (Battleship Island). 2012 wurde sie weltweit bekannt wegen ihrer kurzen Einblendung im James Bond-Streifen „Skyfall“. Dort spielt sie die Rolle als Geisterstadt und ist – logischerweise – Sitz des Bösewichts.
Seit Ende des 19. Jahrhunderts wurde dort systematisch Kohle abgebaut. Die Kohleflöze ziehen sich über 800 Meter Tiefe, weit unter dem Meeresboden entlang.

Ab 1916 wurde die Insel von der Besitzerfirma Mitsubishi durch Bauten nach und nach auf ihre jetzige Grösse von ca. 480 Meter Länge und 160 Meter Breite erweitert. Zahlreiche Wohnhäuser für die immer zahlreicher werdende Arbeiterschaft entstanden, u.a. auch das erste Beton-Wohnhaus Japans (1931). Auf diesen 6 Hektar lebten im Jahr 1960 über 5000 Menschen, es war der Ort mit der höchsten Bevölkerungsdichte weltweit. 1974 wurde die Kohleförderung mangels Rentabilität eingestellt, und innerhalb weniger Wochen und Monate wurde Hashima verlassen und zur Geisterstadt.
Seit 2009 ist es möglich, die Insel organisiert zu besichtigen. Mit der Ernennung zum Unesco Weltkulturerbe 2015 kam der Tourismus richtig in Fahrt, und inzwischen buhlen fünf Firmen um die Gunst der Besucherinnen und Besucher. Allerdings nur eine bietet auch Führungen in Englisch an, eben Gunkanjima-Concierge.

Die See sieht harmlos aus auf den Fotos, war aber ziemlich bewegt, und man musste sich beim Aufstehen und Fotografieren sehr gut festhalten. An der Schiffsanlegestelle drängelten sich die Ausflugsboote etwas, aber das war ein gutes Zeichen: Wir konnten an Land gehen. Chic!

Nach Belieben auf der Insel umherlaufen geht nicht. Die Gebäude und Mauern sind – durch zahlreiche Taifune und Korrosion durch das Meerwasser –  während der letzten Jahrzehnte verfallen und stark einsturzgefährdet. Ein gut ausgebauter Weg mit drei Stationen führt über einen Teil der Insel. Der ältere Guide, der die Erklärungen auf Japanisch gab, hatte während der 60er Jahre dort selbst gearbeitet und konnte recht anschaulich und unterhaltsam erzählen. Die englischen Erklärungen im Ohr waren eher „technischer“ Natur, und nach kurzer Zeit wurden Thom und ich sprachlich völlig schizophren, weil wir nicht mehr so recht wussten, welcher Sprache im jeweiligen Ohr wir eher zuhören sollten. Also Mut zur Lücke: Den englische Erklärungen auf „Off“ und dem lebenden Guide auf Japanisch so gut es geht gelauscht. Viel besser! 😉

Natürlich waren und sind die Geschichte und Geschichten des Lebens auf der Insel sehr spannend. Ein schaler Nachgeschmack hinterlässt aber die Tatsache, dass weder die (japanische) Website noch die Tour auf das düstere Kapitel der Insel als Ort der Zwangsarbeit während des zweiten Weltkriegs eingeht. Selbstverständlich nicht. Auseinandersetzung mit der Geschichte ist in Japan ein höchst delikates Thema.

Trotzdem ist dieses Zeugnis von Industriekultur natürlich sehr beeindruckend. Erschreckend ist jedoch der Zustand des Zerfalls. Einige Bauten sind bereits zerstört. Irgendwann wird nichts mehr davon übrig sein.

Nach 20 Minuten Aufenthalt ist der Zeitslot pro Schiff und Gruppe zu Ende und man fährt zurück zum Hafen, wo man selbstverständlich mit einer Verbeugung verabschiedet wird.

Wir mussten uns erstmal wieder mit Kaffee aufwärmen. Die 50 Minuten zugiges Schiffsdeck auf der Hinfahrt hatten mich doch etwas gefrostet. Für ein paar Fotos des Hafengeländes hat es grade noch gereicht.

Nach dem Auftauen hiess der nächste Programmpunkt „Glover Garden“, ein Park mit dem ältesten erhaltenen westlichen Wohnhaus Japans, der Glover Residence. Der Schotte Thomas Glover war ab 1860 massgeblich an der industriellen Entwicklung Japans beteiligt und gründete zahlreiche Firmen sehr unterschiedlicher Art, darunter auch eine Brauerei, die später zu Kirin (einer der grossen Biermarken Japans) wurde. Irgendwann ging er auch bankrott, blieb aber weiter in Japan.

Wir hatten mit einem gemütlichen Ausklang des Nachmittags in einer beschaulichen Grünerholungszone gerechnet. Daher waren wir auf den Rummel vor und im Park überhaupt nicht vorbereitet. Wahnsinnig viele Menschen und Reisebusse waren dort, und eine Souvenirstrasse wie vor einem berühmten Schrein führt zum Eingang. Vor allem wurde dort die Nagasaki-Spezialität „Castella / Kasutera / カステラ“ verkauft.

Damit man sich ja nicht über Gebühr bewegen muss, führen Rolltreppen bis zur Spitze des am Berg liegenden Gartens und zur obersten Villa. Im grossen Garten befinden sich mehrere alte Villen im europäischen Stil, was uns auch neu war. Wir dachten, das Glover-Haus wär’s, und fertig.

In den verschiedenen Häusern sind die Räume noch mehr oder weniger mit altem Mobiliar eingerichtet, so erhält man einen ganz guten Eindruck, wie man dort während der Meiji-Zeit gewohnt hat. Allerdings ist manches schon in bedenklich schlechtem Zustand. Ein bisschen Renovation täte hier und da gut.

Eines der kleineren Gebäude wurden gestürmt von den High-School-Ausflugsschülerinnen. Denn dort konnte man für 600 Yen ein pseudohistorisches, westliches langes Kleid aussuchen und damit im Park herumwandern. Quasi das Pendant der Kimono-Ausleihe für Westler und asiatische Touristen. Hier der absolute Hit bei den japanischen Mädels!

Letztendlich hat uns die eigentliche Glover Villa in typischem englischen Kolonialstil mit breiter Veranda am besten gefallen. Besonders der Wintergarten (in weiss) hatte es uns angetan. Nie hätte ich gedacht, dass ein Wintergarten (oder Gewächshaus) mal zu meinen geheimsten Wünschen zählen würde. Bei GartenpächterInnen aber wohl eher wenig verwunderlich. 🙂

Auf dem Rückweg durch die Stadt kamen wir an Nagasaki Chinatown vorbei. Letztendlich ist das eine Ansammlung chinesischer Restaurants, und wir überlegten durchaus, dort zur Abwechslung mal Essen zu gehen. Jedoch war das Angebot wieder einmal ziemlich fleischlastig, und zudem stand vor fast jedem Restauranteingang ein Mann/eine Frau, der versuchte, die Leute hineinzulocken. So etwas mögen wir überhaupt nicht! Und genauso hatten wir das auch noch in Erinnerung gehabt. Drum schnell wieder weg aus Chinatown.

Eine weitere Restaurantsuche war uns dann zu anstrengend, also blieben wir bei unserem gewohnten Abendessen: Sashimi, Gemüse und Salate plus Bier aus dem Supermarkt. Vielleicht etwas einfallslos, aber wie schon gesagt: So frisch und gut würden wir Sashimi nicht mehr bekommen – nicht bis zur nächsten Japanreise. 😉

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