Kabuki in Kyoto

Wie bereits angekündigt: der Bericht über unseren Kabuki-Theaterbesuch am Montag in Kyoto. Osaka und Kyoto liegen 43 Kilometer voneinander entfernt. 2007 hatten wir unser Quartier in Kyoto und besuchten Osaka, nun hatten wir unser Hotel in Osaka und fuhren eben kurz nach Kyoto, ins Minamiza Theatre in Gion.

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Auf diese Karten fürs Kabuki bin ich ziemlich stolz. Denn zum einen bekamen wir endlich mal die Gelegenheit, ein richtiges Kabuki in einem japanischen Theater – und dann auch noch Kyoto – zu sehen. Zum zweiten ist es auch noch ein herausragendes Ensemble, was wir uns als Anfänger gegönnt haben.

Wie wir zu den Karten kamen? Ganz einfach. Ende August guckte ich in Matsuyama am Abend noch etwas fern und sah eine sehr interessante Sendung über einen noch jungen Kabuki-Darsteller, Ebizo Ichikawa XI. Noch während der Sendung recherchierte ich ein bisschen im Internet herum: https://www.kabuki-bito.jp/eng/top.html

Die Infos waren gut zu finden, und es stellte sich heraus, dass das Tokyoter Theater Vorstellungen in Kyoto geben würde – passend zu unserem Aufenthalt in Osaka. Und zwei der fast letzten Karten waren im Internet per Kreditkarte superschnell gekauft. Allein für so was lohnt es sich doch, das Laptop in den Ferien herumzuschleppen!  😉

Unsere Lehrerinnen in Matsuyama waren sehr entzückt und sogar auch etwas neidisch. Denn Kabuki-Vorstellungen gibt es dort nicht so oft, und die Chance, dass das Tokyo-Kabuki-Ensemble eine Vorstellung in Matsuyama geben wird, ist praktisch null. Dort gibt es nicht mal ein Theater dafür. Nun waren wir natürlich umso gespannter.

Ebizo Ichikawa XI ist, wie wir danach herausfanden, derzeit der Superstar des Kabuki. Nachfolger einer Kabuki-Schauspieler-Dynastie, jung und sehr ausdrucksstark. Stets präsent in den japanischen Medien. Als wir dann aber am Montag früh um 10.45 Uhr in Kyoto am Theater ankamen (jawohl, um 11 Uhr früh ging es los), da war die noch grössere Überraschung für mich, dass wir auch Bandō Tamasaburō sehen würden, der derzeit berühmteste Frauendarsteller (Onnagata) des Kabuki! Diesen Namen kannte ich bereits.
Sämtliche Rollen werden beim traditionellen Kabuki-Theater ja von Männern gespielt.
Andere Namen, möglicherweise ebenso berühmte, kannten wir leider nicht. In jedem Fall durften wir also eine vielversprechende Aufführung erwarten.

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Unsere Plätze waren nicht ganz so toll, dritter Rang, links. Damit war kein bequemer Blick auf den im Kabuki wichtigen Steg (Hanamichi) möglich, der von hinten über den Zuschauerraum auf die Bühne führt. Von dort wird diese von den Schauspielern betreten, auch kleinere Szenen werden dort gespielt. Kein Wunder dass unsere Sitzplätze noch zu haben waren … 🙂 Mit etwas Verrenkung konnten wir aber schon etwas sehen. Hier zwei – eigentlich – illegale Fotos vom Theater im Zuschauerraum. Fotografieren war natürlich streng verboten.

Kabuki ist sehr, sehr anders als unser historisches Theater. Thom und ich haben bisher keine Ahnung davon und mussten uns auf üblichen Internet-Wegen erst einmal schlau machen.
Auf Youtube habe ich – unter vielen verschiedenen Kabuki-Filmen – noch eine kurze, interessante (englischsprachige) Einführung gefunden:
https://www.youtube.com/watch?v=67-bgSFJiKc&feature=related

Im Gegensatz zu Tokyoter Aufführungen gab es in Kyoto nur japanische Audio-Guides. Dank englischsprachiger Seiten im Programm konnten wir der Handlung ungefähr folgen, aber viele Details blieben uns natürlich verborgen. Unsere Sprachkenntnisse reichen dafür natürlich bei weitem nicht aus, und auch für Japaner ist die alte Sprache schwierig zu verstehen.
Das Stück hiess übrigens  Yoshitsune Senbon Zakura (義経千本桜) – Yoshitsune und die 1000 Kirschblüten, eines der drei Meisterwerke des Kabuki-Theaters, entstanden 1747 bzw. 1748. „Yoshitsune“ hat insgesamt sechs Akte à etwa einer Stunde. Richard Wagner und Bayreuth werden somit lässig getoppt. Das schafft man fast nicht an einem Tag und die Aufführung wird gesplittet. Wir haben an diesem Morgen die ersten drei Akte angeschaut, das ging bis 15 Uhr (inklusive zweier Pausen von 30 Min.). Die Nachmittagsvorstellung ab 16.45 Uhr zeigt dann die drei letzten Akte. Es wird auch eine verkürzte Version gezeigt.

Auch wenn wir also nicht das ganze Stück sehen konnten, war es absolut faszienierend, auch das gesamte ‚Drumherum‘ im Theater. Als wir uns nämlich auf unsere Plätze setzten, waren viele Zuschauer bereits fröhlich am O-Bento-Futtern. Im Zuschauerraum! Man stelle sich vor, in Zürich oder München würde das Publikum im Opernhaus erstmal seine Picknickbrote verspeisen, bevor es losgeht. Auch in den Pausen wurde gegessen, jede(r) hatte für die vierstündige Vorstellung selbstverständlich etwas dabei. Vor bzw. im Theater gab es auch O-Bentos zu kaufen. Es gibt auch Sitzplätze mit einem Tisch, damit man bequem essen kann. Die freundlichen Platzanweiserinnen sind während der Pausen damit beschäftigt, in riesigen blauen Müllsäcken den ganzen Verpackungsmüll einzusammeln.

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Thom und ich haben allerdings tapfer gehungert, da wir geplant hatten, nach der Vorstellung Essen zu gehen.
Die Besucher waren keinesfalls edel angezogen, sondern erschienen überwiegend – wie uns unsere Lehrerinnen bereits prophezeit hatten – in ganz normaler Kleidung. Vereinzelt waren auch einige Damen in Kimonos zu sehen, wohl nur, weil es an diesem Montag nicht ganz so heiss war. Denn Kimonos trägt man nicht im Sommer, wenn man schwitzt, da die Reinigung sehr teuer ist.

Auf Naoshima hatten wir bereits einmal eine Kabuki-Freiluft-Dorfaufführung erlebt, daher kannten wir schon die wichtigsten Elemente: Es gibt Musiker für Shamisen, Trommel und Flöte sowie einen ‚Sprecher‘, der die Handlung bzw. die Gedanken der Darsteller deklamiert, und zwar auf sehr mitreissende Weise. Sprecher und Schauspieler sprechen abwechselnd. Interessant ist dabei die aussergewöhnliche Sprachbetonung. Anfangs ist das sehr ungewohnt und wirkt sehr künstlich, bald klingt es sehr faszinierend.

Der Sprecher und der Shamisen-Spieler waren im ersten Akt noch auf einem kleinen Podium rechts auf der Bühen hinter einem Bambusvorhang verborgen. Im zweiten Akt wurde der Vorhang dann geöffnet. Im dritten Akt sassen sie – verstärkt durch weitere sechs Mann – offen auf der Bühne und sprachen dann die Parts jeweils nacheinander. Die Trommler und den Flötisten am linken Bühnenrand konnten wir leider nicht sehen.

Interessant war auch der ‚Klapperer‘ vorne rechts auf der Bühne (man sieht ihn in einem der Videos), der bei dramatischen Momenten, zum Beispiel Kämpfen, immer mit zwei Hölzern auf eine Holzplatte schlug. Das ist ziemlich effizient, es kann dann recht laut werden.

Auch interessant: Manchmal huschen schwarz gekleidete Gestalten auf der Bühne umher und unterstützen die Darsteller, bringen Utensilien oder helfen beim Ausziehen eines Kostüms auf der Bühne. Diese sollen wie unsichtbar sein. Doch manchmal sind diese Assistenen auch ganz offen im Kimono zu sehen. Es gibt eine sehr hübsche Szene im dritten Akt, wo sich der Protagonist kurzzeitig in einen Fuchs verwandelt. Da wird eine grosse Fuchs-Handpuppe von einem Schauspieler ‚gespielt‘.

Die Kostüme und die Gesichtsbemahlung sind sehr prachtvoll. Gut, dass es doch illegale Mitschnitte aus Vorführungen gibt, denn so kann sich hier jede(r) ein Bild machen. Hier zum Beispiel zwei Mitschnitte aus dem ersten Akt. Der Darsteller in Rot mit einer Art ‚Rucksack‘ ist übrigens Ichigawa Ebizo.

https://www.youtube.com/watch?v=BU66syDUuJ8

https://www.youtube.com/watch?v=J6NJz7lOhaw

Ebizo

Ichigawa Ebizo und Bandō Tamasaburō spielte übrigens jeweils zwei Rollen in diesem Stück, Rollen mit sehr unterschiedlichem Charakter.

Hier noch Tamasaburo Bando in einer anderen, sehr berühmten Darstellung, „Sagi Musume“: https://www.youtube.com/watch?v=4JjLuh4Ns7s

Bei vielen Szenen gibt es Zwischenapplaus und Zurufe aus dem Publikum. Anfangs irritierte uns auch eine Mann, der einige Meter von uns entfernt in sehr legerer Kleidung auf einem Klappstühlchen Nahe der Eingangstür sass. Anfangs dachte ich nur ‚Wieso ruft der ständig dazwischen‘?, bis ich merkte, dass er zum Ensemble dazugehörte und wie eine Art ‚Ansager‘ bzw.’Ausrufer‘ agierte. Er kündigte an, wenn ein Darsteller über den Steg die Bühne betrat oder verliess.
Der arme Mensch musste übrigens schrecklich frieren, weil er – wohl bei jeder Vorstellung – direkt vor dem Schacht der eiskalt blasenden Klimaanlage sass. Er schien auch schon total erkältet zu sein.

Uns war auch ziemlich kalt geworden. Aber trotz trüben Wetters war es draussen angenehme 28°C, und spätestens nach unserem Restaurantbesuch war uns auch wieder warm.
Das Unagi-Restaurant haben wir übrigens Pi mal Daumen angesteuert und gefunden. Es liegt nicht weit von Gion bzw. von der U-Bahn-Station Kawaramachi entfernt in der Fussgängerzone. Wir sind bei jedem Kyoto-Besuch dort gewesen, es schmeckt dort echt gut  – auch wenn ich inzwischen bei Unagi immer ein schlechtes Gewissen habe. Die armen Aale…

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Hier noch eine nachmittägliche Ansicht vom Kyotoer Flussufer.

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Unser erstes Kabuki-Erlebnis hat uns ausgesprochen gut gefallen, und wir werden uns unbedingt wieder eines anschauen. Schliesslich fehlen uns noch die Akte vier bis sechs … Hier in Europa gibt es nur selten die Gelegenheit, zum Beispiel in London oder Paris. Aber vielleicht schaffen wir es bei einem nächsten Japan-Besuch wieder? Kabuki wäre in jedem Fall auch ein Grund, mal wieder nach Tōkyō zu fahren. Dort gibt es gleich mehrere grosse Theater.

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