Hiroshima : Wohnen bei den Karpfen

Die nächste Station unserer Corona-bedingten Japan-Verlängerung hiess Hiroshima. Zum einen waren wir nur einmal kurz (2007) in der Stadt gewesen. Zum anderen sah es im Westen Japans betreffend der Zahl der Erkrankungen gegen Ende März noch sehr gut aus, so dass wir auch einen längeren Aufenthalt in Betracht ziehen konnten. Ausserdem gibt es in Hiroshima ein gutes Angebot von buchbaren und nicht zu teuren Apartments. Denn langsam hatten wir das Hotelleben gesehen, und ausserdem wird das auf die Dauer etwas teuer… 🤨

Die Fahrt von Hamamatsu im schrecklich leeren Shinkansen (in unserem Wagen mit 100 Plätzen ohne Reservation waren grade mal vier Personen…) ging natürlich äusserst flott vonstatten, und nach nur vier Stunden standen wir am Bahnhof Hiroshima.

Von dort waren es nur gute 10 Minuten zu Fuss bis zu unserer gebuchten Unterkunft „Ball Park Eki mae“, gleich in der Nähe des Baseball-Stadiums. Das bei diesen Buchungen inzwischen übliche, anonyme Check-In (Code für Briefkasten mit Schlüssel drin) verlief zum Glück erfolgreich, und wir konnten uns „installieren“.

Das Apartement war/ist ein Glücksfall mit ein paar Schwächen. Das nagelneue Reihenhaus inmitten eines kleinen Wohngebiets in der Nähe der Eisenbahnlinie besteht aus fünf gleichgestalteten, zweigeschossigen Wohnungen mit 40 qm. Sehr japanisch alles, und auch ein Postamt mit Geldautomat ist ganz in der Nähe.

Unten sind Küche und ein geräumiges Bad mit WC und Waschmaschine und oben ein grösserer und ein kleinerer Raum.

 

Eigentlich prima ausgestattet mit allem, preisgünstig und sehr „kirei“ (schön und sauber). Auch von der Grösse her genügt es eigentlich, aber Minuspunkte geben wir für mangelnde Sitz- und Arbeitsgelegenheiten sowie einen fehlenden Schrank, insbesondere für unseren doch längeren Aufenthalt von 15 Tagen. Aber inzwischen haben wir uns einigermassen arrangiert. Es ist ja nicht auf Dauer.

Der Name des Appartement-Blocks „Ball Park Eki mae“ ist Programm: Es liegt direkt an der Achse Bahnhof – Baseball-Stadion Hiroshima. Sehr rasch stellten wir fest, dass Hiroshima eine Hochburg des Baseball in Japan ist. Der hiesige Verein heisst „Hiroshima Tōyō Carps“ (Karpfen), und gehört zu den acht in der sogenannten Central League spielenden Mannschaften. Der Weg vom Bahnhof zum nagelneuen „Mazda Zoom-Zoom“-Stadion ist der „Walk-of-fame“ für die Fans, unschwer zu erkennen an den mit dem satten Rot geschmückten Gebäuden und Fanartikeln.

 

Thom und ich haben von Baseball absolut null Ahnung, und auch jeglicher Fankult ist uns fremd. Aber man wird natürlich neugierig bei so viel Sportkultur. Es wäre also lustig gewesen, solch einen Spieltag mal in sicherer Entfernung miterleben zu können. Jetzt liegt natürlich – coronabedingt – alles brach.

Die nächsten zwei Stunden vergingen mit Einkaufen, denn unser grosses Hobby in Japan ist das Zubereiten des Frühstücks, bestehend aus Reis, diversen Gemüsen, eingelegten Spezialitäten, Misosuppe, Salat, Algen, gedünsteter Fisch, Tōfu, Nattō etc.. Je vielfältiger, umso besser. Auch die kommenden Tage unseres Daseins würden wir die Zutaten bzw. Köstlichkeiten in den diversen Läden und Supermärkten weiter ausprobieren und optimieren. Schade, dass man dann wieder wegfahren muss, wenn man zu allem den Durchblick hat… 😉

Am Abend gingen wir dann erstmal etwas essen. Eine japanische Spezialität ist „Okonomiyaki“, eine Art würziger Pfannkuchen mit allerlei Zutaten. Es ringen die Variante aus Ōsaka sowie die aus Hiroshima darum, die Beste zu sein. Nun konnten wir endlich die hiesige Interpretation (u.a.) mit Nudeln probieren.
Okonomiyaki-Restaurants in Hiroshima gibt es wirklich an jeder Ecke bzw. alle hundert Meter, und natürlich wirbt jedes mit „seiner“ spezialisierten Version. Wir probierten es gerne im kleinen Lokal „Tanpopo“ in unmittelbarer Nachbarschaft zu uns, nach eigenen Angaben ein Familienbetrieb seit 1992.

Die Eigentümer freuten sich, als wir auftauchten, denn die Corona-Flaute macht sich inzwischen auch bei ihnen sehr bemerkbar. Durch die nicht mehr stattfindenden Spiele der „Hiroshima Carps“ haben auch sie deutlich weniger Gäste. Das Lokal liegt direkt am „Walk of Fame“. Zum Glück kamen dann später weitere Hungrige, und die beiden hatten dann noch ziemlich zu tun.

Während sie routiniert die Teppanyaki-Schaufeln schwangen und uns eine exklusive Okonomiyaki-Variante ohne Fleisch zubereiteten, konnten wir mit ihnen auch ein japanisches Schwätzchen führen.

Zum Essen der Meisterwerke wurden wir exklusiv an die grosse Teppanyaki-Platte & -Theke gebeten. Dort bleibt das pizzaähnliche Teil nämlich schön warm, während man sich mit der Schaufel Stück für Stück abschneidet. Das Geheimnis des Hiroshima-Okonomiyaki ist u.a. auch die würzige Otafuku-Sauce. Dies wird im Buch der belgischen Schriftstellerin Amélie Nothombs, „Der japanische Verlobte“, wunderbar beschrieben. Hat diese Lektüre kurz vor den Ferien vielleicht sogar meine Motivation, unseren längeren Aufenthalt in Hiroshima zu verbringen, gefördert?? 😉

Einige Tage später probierten wir noch eine weitere (wieder auf Anfrage fleischlose) Variante aus, die uns sogar noch etwas besser geschmeckt hat.
Aber letztendlich wäre der Versuch, ‚Hiroshima’s best Okonomiyaki-Restaurant‘ finden zu wollen, ein wohl uferloses Unterfangen. Denn jede(r) mag es anders.

In jedem Fall sind wir inzwischen Fans der Hiroshima-Variante geworden, weil sie durch die Nudeln irgendwie „fluffiger“ daherkommt. Fans der Ōsaka-Variante mögen uns dies verzeihen…

Am nächsten Tag radelten wir erstmal zum Friedenspark bzw. Friedensgedenkpark. Wir hatten diesen im Dezember 2007 erstmalig besucht, aber der damals kurze Stopp over von nur 2-3 Stunden hatte uns nicht viel Zeit gelassen. Das bekannteste Denkmal auf der anderen Seite des Flusses ist der A-bomb-Dome bzw. die Atombomben-Kuppel des einstigen Gebäudes der Hiroshima-Industrie- und Handelskammer, dass zum Mahnmal der Stadt geworden ist und inzwischen auch zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört.

Normalerweise sind dort Touristenmassen aus allen Herren Länder unterwegs. Nun waren wir praktisch alleine vor dem Dom und im Friedenspark.

Der Friedenspark selbst besteht aus sehr, sehr vielen einzelnen Mahnmalen und Denkmälern, die wir uns nicht alle angesehen haben. Zudem stösst man bei Erkundungstouren durch die Stadt immer wieder auf Gedenktafeln, deren Fotos die Orte kurz nach dem Abwurf zeigen.

Das Gefühl der Beklommenheit wird ein ständiger Begleiter, und man beginnt automatisch, sich mit der Absurdität des Krieges auseinanderzusetzen. Fast war ich etwas froh, dass das Museum geschlossen war, denn die Dokumentation und die Augenzeugenberichte der Überlebenden sind grausam und schwer erträglich. Nur zu verständlich, dass Hiroshima sich für den Frieden der Welt einsetzt.

Hiroshima ist eine Stadt inmitten des grossen Deltas des Ōta-Flusses sowie weiterer Flüsse, durchsetzt mit einigen kleineren Hügeln. Alles sehr flach (und velofreundlich), aber dies hat sich beim Bombenabwurf natürlich absolut fatal ausgewirkt. Nagasaki hat eine völlig andere geographische Struktur. Dort konnte die zweite Atombombe aufgrund der Berge ringsherum glücklicherweise nicht dieselbe Wirkung entfalten.

Die ehemalige Burg (Schloss?) einen Kilometer weiter wurde beim Bombenabwurf ebenfalls zerstört und später wieder halbwegs originalgetreu aufgebaut. Sowohl im Friedenspark als auch im Schlosspark stehen noch einige Bäume, die  -wo auch immer – die Explosion in einiger Entfernung irgendwie überlebt haben und dann umgepflanzt worden sind  – für mich sehr beeindruckende, stumme Zeitzeugen.

Eine lustige Entdeckung machten wir noch, bevor wir weiterradelten: Die ziemlich originelle Krähenabwehr auf den Park-Abfallkübeln. Ganz wichtig in japanischen Städten, denn die hiesigen, frechen Vögel machen sich über jeglichen Müll her.

Sympathisch ist für uns der ÖV der Stadt: In Hiroshima sind die Strassenbahnlinien noch aufrechterhalten worden und fahren in mehreren Linien durch die Stadt, und dies sogar ziemlich zackig! Nicht nur neue Waggons sind im Einsatz, sondern auch ältere Modelle, die in Sachen Geschwindigkeit ihren neueren Kollegen in nichts nachstehen.

Wir hatten dann noch gehofft, Hiroshimas „Wandelgarten“ Shukkei-en einen Besuch abstatten zu können, aber auch dieser hatte coronabedingt geschlossen. Was für ein Jammer, dass ein Park nun auch als Museum gilt… Naja, vielleicht wird es irgendwann auf einer nächsten Reise Gelegenheit zur Besichtigung geben…

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