Am nächsten Tag, unserem Abreisetag, war das Wetter wieder ganz das, wie wir von der Küste des japanischen Meers kannten: nass und kalt. Immerhin erwischten wir auf unserem Weg vom Ryokan zum Bahnhof Nima eine Regenpause. Aber später im Zug pritschelte es dann ordentlich herunter.
Noch ein letztes Foto von unserem grosszügigen Zimmer im Ryokan.
Im Bahnhof Nima.
Wir fuhren die San-in Line knapp 2 Stunden lang weiter an der Küste hinunter bzw. Richtung Südwesten bis zur Stadt Masuda (益田市). Dort hatten wir einen längeren Aufenthalt, denn die Züge weiter bis zu unserer nächsten Reisestation Hagi fahren nicht sehr oft. Und der Bahnhof in Masuda schien etwas mehr herzugeben als in Nima.
Als erstes mussten wir in Masuda wieder unser Gepäck über die schreckliche Überführung schleppen. Immerhin war diese überdacht, denn es regnete jetzt ziemlich tüchtig. Auf dem Bahnhofsplatz gibt es das kleine Kaffee Moritani mit Geschenk- und Spezialitätenhandlung, was wir bei unseren Vorrecherchen (Google Maps) entdeckt hatten.
Wir konnten Koffer und Birdys davor parkieren und uns mit einem Kaffee etwas aufwärmen. Sie bieten dort auch ziemlich teures Obst an, was Japaner zum „Omimai“ verschenken. Dies ist der Krankenbesuch im Hospital. Während wir da am Tisch sassen, haben wir einige Bestellungen verfolgen können. Die Geschenkkörbchen waren sehr hübsch zurechtgemacht. Und sind nicht billig.
Da das Obst so gut aussah, bestellten wir für Thom ein „Frucht-Sandwich“ zum Zmittag: Das waren Früchte, Eiscreme und Biskuitküchlein, allerliebst angerichtet. Ich hatte Lust auf Obst pur und bestellte eine Nashi (die japanische Birnensorte) ganz pur, was etwas Erstaunen bei den Damen des Kaffees hervorrief. Aber auch diese kam dann, geschält und hübsch arrangiert auf dem Teller.
Gegen 13:30 Uhr konnten wir dann unseren Wanman-Car (das Einmann-Züglein) Richtung Hagi besteigen. Weiter ging es die Küste gen Westen.
Hagi selbst hat drei Bahnhöfe, da die Bahnlinie den Ort grosszügig umrundet. Der „Haupt-Bahnhof“ ist Higashi-Hagi, aber aufgrund der Lage unserer Unterkunft entschieden wir uns, am letzten Bahnhof Tamae auszusteigen. Sowohl die Stationen Hagi und Tamae bestehen nur noch aus einem Bahnsteig plus Unterstand. Infrastrukturtechnisch ist also Higashi-Hagi sicher die bessere Wahl.
Die halbe Stunde im Regen und an der Strasse zu unserem Hotel „Mihagi“ zu laufen war nicht überaus motivierend. Aber wir kamen an und konnten gleich unser schönes Tatami-Zimmer beziehen. Das Hotel ist ein recht nobles „Resort Hotel“, mit viel Comfort und Service, etwa im Schweizer Preisniveau. Aber natürlich viel besser. 🙂
Unschlagbar ist vor allem das grosse, schön ausgestattete Bad (für Männlein und Weiblein natürlich getrennt). Hier wurde offenbar Meerwasser auf ca. 40°C gewärmt, was den Körper ganz schön beansprucht, aber unglaublich gut tut. Wir begaben uns da die nächsten Tage sowohl abends und auch morgens hinein. Die Zimmer sind zwar alle noch mit Toilette und Bad/Dusche ausgestattet, aber das scheinen nur wenige zu nutzen, wir jedenfalls nicht.
Dass es an unserem Ankunfts-Nachmittag weiter regnete, war überhaupt kein Problem, denn wir mussten einen Wasch-Nachmittag einlegen. Fast in jedem japanischen Hotel gibt es Münz-Waschmaschinen und –Trockner, die gar nicht teuer sind. Bis unser Wäsche gewaschen und getrocknet war, dauerte es eine Weile. Hübsch entspannend. Und das Abendessen fiel mal schlicht aus: Sashimi plus Salat und Gemüse aus dem benachbarten Supermarkt. Nach den üppigen Mahlzeiten im Ryokan genügte das völlig. Ein lokales Hagi-Bier, das Cyonmage, durfte aber schon sein. 😉
Hagi stand seit längerem auf unserer Reiseliste Japan. Warum, wissen wir eigentlich auch nicht mehr. Immerhin steht es in diversen Reiseführern. In dieser alten Samuraistadt gibt es viele interessante Sehenswürdigkeiten. Und wie wir ja bereits in Yamaguchi erfahren haben, hat Hagi als Sitz der Familie Mori zum Ende der Edo-Zeit bzw. zu Beginn der frühen Meiji-Zeit eine wichtige Rolle gespielt. Ausserdem lässt es sich ja mit dem Besuch von Iwami Ginzan gut kombinieren (zumindest für uns).
Dass Hagi und das Umland auch für die Frühzeit der japanischen Industrialisierung von Bedeutung waren, haben wir eigentlich erst bei unseren detaillierteren Reisevorbereitungen erfahren, als bereits alles gebucht war. Seit 2015 sind unter dem Label „Sites of Japan’s Meiji Industrial Revolution“ Stätten in ganz Japan zusammengefasst, die für die Entwicklung der japanischen Industrialisierung von ca. 1868-1917 wichtig waren. Hagi, Kitakyushu und Nagasaki waren hier massgeblich beteiligt, und diese lagen ja voll in unserem Programm. Was für ein toller Zufall!! Da hatten wir ja einiges zu tun.
Gut also, dass sich das Wetter am nächsten Morgen wieder kooperativ zeigte, und wir nach einem feinen Frühstück unser Besichtigungsprogramm starten konnten. Das Meer war mächtig aufgewühlt und der Wind unglaublich stark. Zweimal sollte er im Laufe des Tages sogar unsere Birdys umwerfen. Nicht ganz optimal, und vor den Böen hatten wir dann mächtig Respekt.
An diesem Donnerstag (23.11.) war im Übrigen auch noch ein Feiertag, der „Arbeitsdank-Tag“. In der Stadt war es also noch sehr ruhig, und nach einer ersten kurzen Runde per Velo stoppten wir an der Hagi Meirinkan, einer Schule, die von einem Fürsten des Mori-Clans bereits 1718 gegründet worden war. Zahlreiche Schüler dieser Institution spielten in der Frühphase der Meiji Restauration eine wichtige Rolle. Platt gesagt könnte man damit Hagi als intellektuelle Brutstätte der japanischen Entwicklung nach der zweihundertfünfzig Jahre dauernden Isolation betrachten. Nach der erzwungenen Öffnung Japans durch die schwarzen Schiffe des amerikanischen Admirals Perry 1853 war das Land gespalten zwischen Befürwortern und Gegnern dieses unfreundlichen Akts, bzw. auch zwischen Anhängern und Gegnern des weiterhin regierenden Shogunats. Diese Spaltung sollte 15 Jahre andauern, mündete zum Schluss in den Boshin-Krieg, und endete mit der Wiedereinsetzung (Restaurierung) der kaiserlichen Macht 1869 (Beginn der Meiji-Zeit).
Der Mori-Fürst unterstützte auch die so genannten „Chōshū Five“ . Fünf junge Männer aus Hagi machten sich 1863 auf den Weg nach England, um dort die westlichen Errungenschaften zu studieren und westliche Erkenntnisse und Knowhow zu erwerben. Nach ihrer Rückkehr (fünf Jahre später) erhielten sie mit ihrem neuerworbenen Wissen massgebliche Positionen beim Reformierungsprozess in der jungen Meiji-Regierung.
Die japanische Geschichte ist einfach unglaublich spannend, und da das hier den Rahmen total sprengt, setze ich notgedrungen einen Schlusspunkt. Wer mag, kann sich gerne via Wikipedia oder einschlägiger Literatur weiter damit beschäftigen… 🙂
In der Meirinkan wird man schon einmal in die Frühphase der japanischen Restauration plus Geschichte eingeführt. Alles ist gut aufbereitet (wenn auch nicht immer auf Englisch). Und man tappt auch mal wieder mit Schläppchen auf den alten Holzdielen herum. Besonders interessant fanden wir die Frühphase der japanischen Industrialisierung (die neuen Unesco-Stätten haben einen eigenen Raum).
Nach dem Besuch der Meirinkan stand das alte Händlerviertel mit seinen zahlreichen besuchbaren Häusern auf dem Programm. Der Eintritt in diese Häuser kostet nicht viel, meist nur 100-200 Yen. Mehr als drei Häuser muss man jedoch nicht unbedingt bewundern, denn irgendwann wiederholt es sich dann etwas. Manche Häuser sind tatsächlich noch in Privatbesitz, manche gehören der Gemeinde, und dann stehen sie auch für kleinere Events zur Verfügung. So war in einem Haus z.B. eine Ikebana-Ausstellung (Wettbewerb?), und das Gewusel hat das Haus recht hübsch belebt.
Im touristischen Viertel sind die prominenten Strassen natürlich von Souvenirläden gesäumt, was hier bedeutet: lokale Spezialitäten und Porzellan. Letzteres ist natürlich gefährlich für uns, jedoch waren wir uns relativ rasch einig, dass „Hagi Yakimono“ nicht ganz unseren Geschmack trifft. Es handelt sich hier um glasierte Keramik unterschiedlicher Stile.
Zwar gibt es ausgesprochen schöne Stücke, jedoch sind diese gleich unbezahlbar (mehrere hundert Franken). Der überwiegend ockerfarbene Stil gefällt uns aber nicht so recht. Immerhin eine hübsche Tasse in Weiss mit leichtem Blauschimmer war erschwinglich und steckt nun im Postpaket.
Von allen Häusern hat uns die Kikuya Residenz durch ihre Grösse und den wunderbaren Garten am meisten beeindruckt.
Die Zeit bis zum offiziellen touristischen Feierabend um 17 Uhr reichte dann noch, um durch das Samurai-Viertel zu den Schlossruinen zu fahren. Dort gibt es eigentlich nicht mehr viel zu sehen ausser einigen Grundmauern und einem Garten mit schönen alten Kirschbäumen. Zur Kirschblüte muss der Anblick grandios sein, bzw. auch im Frühherbst, wenn die Blätter rot sind. Um diese Zeit sind die meisten Bäume bereits kahl, und der heutige Wind dürfte noch die letzten Blätter hinweg gefegt haben.
Mit Anbruch der Dämmerung wurde es dann auch wieder wirklich kalt und ungemütlich, so dass wir uns auf unser heisses Hotel-Meerwasserbad richtig freuen konnten.