Ein achttägiger Besuch einer Hauptstadt mit nahezu 10 Millionen Einwohnern (bzw. 38 Millionen im Einzugsgebiet) kann nie ausreichend sein. Zum Glück hatten wir sowohl bei unserem ersten fünftägigen Japan-Besuch 2006 sowie bei unserem zweiwöchigen Aufenthalt 2013/2014 bereits das Vergnügen, die Hauptstadt Japans besser kennenzulernen. Also konnten wir unseren dritten Besuch schon mal entspannter angehen. Zwar hatte Thom fleissig eine ziemlich lange Liste der für ihn besuchenswerten Kunstmuseen aufgestellt. Wegen (oder dank?) Corona war diese Liste aber Makulatur geworden, zudem waren inzwischen auch noch viele andere Sehenswürdigkeiten geschlossen, etwa der Sky Tree. Aber es war ja noch genug anderes zum Anschauen da, und zudem hatten wir zum ersten Mal unsere Birdys dabei. Velofahren in der grössten Stadt der Welt – na chic! 😉
Gleich am nächsten Tag, dem Sonntag (15.3.), nutzten wir den schönen Frühlingstag, um die erste Tour zu absolvieren: eine Runde um das Kaiserschloss, die mit vielen Fotostopps und ein paar Besichtigungen fast den ganzen Tag dauern sollte. Zuerst besuchten wir gleich nach dem Frühstück den Hie-Schrein, in direkter Nachbarschaft zu uns.
Ein schöner Zufall, dass wir direkt dort wohnten, denn an diesem Schrein hatten wir den Jahreswechsel 13/14 mit unseren Freunden Marie & Fred gefeiert (s. auch Blogeintrag vom 2.1.14) und haben diesen in schöner Erinnerung. Prima, ihn nun nochmals und auch ganz menschenleer am heutigen Märzsonntag zu erleben.
Akasaka grenzt direkt ans Regierungsviertel, daher konnten wir nochmals die „DIET“, das japanische Parlament sowie deren Bibliothek von aussen begutachten.
In direkter Nachbarschaft befindet sich auch das japanische Nationaltheater, dass sich den drei traditionellen Theaterkünsten Kabuki, Bunraku sowie Nō & Kyōgen verschrieben hat. Leider waren auch hier alle Aufführungen abgesagt. Wirklich schade, denn es wurde „Yoshitsune senbon sakura“ gegeben, ein Klassiker des Kabuki und passend zur Jahreszeit. Auszüge des Stückes hatten wir bei unserem allerersten Kabuki-Besuch in Kyoto https://blog.yomoyama.ch/kabuki-in-kyoto/ sehen können.
Dafür konnten wir dort die ersten prächtigen Kirschblüten bewundern. ☺
Am Schlossgraben und dem Hanzomon-Tor wunderten wir uns über die grosse Anzahl Jogger, einzelne und Grüppchen, die auf dem Weg um das Schloss herum ihre Runde (oder sogar Runden?) drehten.
Wie wir dann einige Tage später sahen, ist diese sogar als offizielle Joggerstrecke der Millionenstadt ausgewiesen. Einmal rund ums Schloss sind es 5 Kilometer, und das Schild gibt noch kluge Ratschläge, etwa dass man es z. B. mit dem Tempo nicht übertreiben soll. Auch Aufwärmübungen sind angesagt.
Weiter ging es im Uhrzeigersinn (den Joggern entgegen) am Schlossgraben entlang und dann in Richtung Yasukuni-Schrein. Genau, der umstrittene Schrein, den die asiatischen und westlichen Medien immer gerne zitieren, wenn die japanischen Politiker ihre ebenfalls umstrittenen Besuche abstatten. Eigentlich war ich neugierig, ob denn auch diesmal wieder die Nationalisten mit ihren aufgemotzten Lautsprecher-Kampfwägen dort sein würden, aber dies war nicht der Fall. Nur ein einsamer Motorradfahrer aus der rechten Ecke war zu sehen.
An sich sieht das Schreingelände nach unserem Geschmack zu monumental und steril aus (zu viel Stein und Plättli), aber wir waren positiv überrascht über die vielen Kirschbäume, die natürlich tüchtig fotografiert wurden. Hanami war gemäss Schilderwald weniger erwünscht.
Alles war aber sehr belebt, denn viele Leute absolvierten ihren sonntäglichen Schreinbesuch, und vor dem Hauptgebäude wartete eine lange Schlange von Menschen. Auf der sich daneben befindlichen, offenen Nō-Theaterbühne gab es sogar eine Aufführung.
Das hatten wir noch nie gesehen und verweilten daher eine Weile. Im Gegensatz zu Kabuki ist Nō eine sehr ernste Sache, und ob wir da einen ganzen Abend lang durchhalten würden, bezweifelten wir nach diesen ersten Eindrücken. Fotografieren war streng verboten, und die Aufseherinnen wurden ob unseren grossen Kamerataschen ganz nervös. Naja, die ein oder anderen machten eben heimlich Fotos mit ihren wendigeren Smartphones…
Eine Frau sprach uns an, als wir die Kirschblüten betrachteten: Hinter dem Schrein gebe es einen kleinen Garten mit Teich, dort sei ein Baum in voller Blüte zu sehen. Sie konnte kein Englisch und hatte schon das Handy für die Übersetzung vorbereitet und war dann überrascht und entzückt, dass wir japanisch verstanden. Wir bedankten uns sehr für den Tipp und gingen unverzüglich los. Das kleine japanische Gärtchen mit dem Teich war wirklich sehr hübsch angelegt, und der Kirschbaum wunderschön.
Nach diesem ausgiebigen Aufenthalt radelten wir wieder entlang des Schlossgrabens weiter. An dieser Stelle mussten wir dann eine kurze Trauerminute einlegen: Auch das National Museum of Modern Art hatte natürlich wegen Corona bis auf Weiteres geschlossen. Diesem exzellenten Museum hätten wir wirklich gerne nochmals einen Besuch abgestattet. Nächste Reise.
Anschliessend stoppten dann ein Stück weiter bei der Takebashi, um noch ein Blick in den kaiserlichen Garten zu werfen. Dort bekommt man ein Kärtchen beim Eintritt, dass man beim Verlassen wieder abgeben muss. So ist sichergestellt, dass niemand verloren geht – bzw. sich niemand dort verschanzt.
Der Garten ist natürlich vom Feinsten, eine schöne Anlage mit Teehaus, Teich, Kois etc. Dazu wurde noch ein kleines Wäldchen mit allen „Symbolbäumen“ der japanischen Präfekturen angelegt. Traditionell haben alle Präfekturen diverse Erkennungszeichen: einen Baum, eine Blume, ein Tier, einen Vogel und einen Fisch (siehe z. B. beim Wikipedia-Eintrag für Ehime). Wir wanderten eine Runde um den Teich mit wunderschönen grossen Koi-Karpfen, die sehr lange fedrige Flossen hatten. Diese „Butterfly-Koi“ hatten wir noch nie gesehen. Diese habe ich umgehend ins Herz geschlossen. Unser Gartenteich wäre aber etwas zu klein für ihn (er ist schätzungsweise 50 cm lang…).
Wir verabschiedeten uns von den Kois und dem schönen Garten, gaben brav unsere Eintrittsplaketten am Pförtnerhäusschen ab, radelten weiter, legten in der Nähe des Tokyoter Bahnhofs noch einen Fotostop ein, und überlegten dann die Route für den Rückweg, denn wir brauchten noch etwas zum Abendessen. Am zweckmässigsten schien uns, zu einem der grossen Kaufhäuser mit grosser Food-Abteilung an der Ginza zu fahren, die Tokyoter-Edeleinkaufsmeile. Das war nur noch ein kurzer Schlenker, und da kannten wir uns noch vom letzten Besuch einigermassen aus. Auf dem Weg passierten wir dann auch wieder die Kreuzung am Bahnhof Yurakuchō, die man ebenfalls (wie die berühmte Schwester in Shinjuku) diagonal überqueren kann – eine sehr praktische japanische Kreation.
Auf der Ginza war noch mächtig was los am Sonntagabend, viele waren noch am Shoppen: zahlreiche Menschen, teure Autos auf dem sechsspurigen Boulevard – und wir dann mittendrin mit unseren Birdys, die wir dann – verbotenerweise – direkt vor dem Kaufhaus auf dem Trottoir kurzparkten. Bzw. wir stellten sie etwas frech zu bereits dort stehenden Fahrrädern dazu. Niemand sagte etwas, und wir brauchten tatsächlich auch nur eine Viertelstunde für unseren Abendesseneinkauf. 😉
Am linken Fahrbahnrand flitzten wir weiter die Ginza herunter bis zum Bahnhof Shimbashi, folgten dann der U-Bahnlinie Ginza-Line überirdisch auf den breiten, grossen Strassen und kamen wir dann etwas müde in unserem Zuhause in Akasaka an.
Fazit: Velofahren in Tokyo ist machbar und lustig, und wir freuten uns schon auf die weiteren Erfahrungen der nächsten Tage.