Der 23.12. (diesmal ein Montag) ist Feiertag in Japan: der Geburtstag des Kaisers Akihito, des Tennō.
Wir hatten uns kurz überlegt, ob wir ihn besuchen sollten, d.h. zum Palast gehen, waren aber unschlüssig. Auf Menschenmassen hatten wir eigentlich keine Lust, und wir zählen uns auch nicht gerade zu irgendwelchen Royal- bzw. Kaisertreuen. Doch es gibt nur zwei Gelegenheiten pro Jahr, den inneren Bereich des Kaiserpalastes zu betreten: Am 23.12. und am 2.1.. Es schien schon reizvoll, zumindest mal zu schauen.
Also gingen wir um 9:30 Uhr in Richtung Chyoda-ku, dem Kaisersitz. Von unserer Wohnung nur ein Spaziergang von ca. 15 Minuten. Auf dem Weg begenete uns ein Weihnachtsmann auf einem Birdy. Weihnachten kommt uns hier eher faschingsartig vor, viele lieben es, sich entsprechen zu verkleiden.
Die Rechten mit ihren Kampfwagen standen leider auch schon wieder in Position… Diesmal aber nur in einer Seitenstrasse.
Erstaunlicherweise war nicht so viel Andrang vor dem weiten Palastgelände. Wir liefen einfach weiter zum offiziellen Eingangstor und der Brücke davor, der Nijubashi, die man sonst nicht überqueren kann.
Die Menge, die sich dann langsam zusammengefunden hatte, wurde permanent ermahnt, langsam zu gehen, aufzupassen, aber nicht stehenzubleiben. Es gab viele Polizisten und Securities, wir bekamen Japan-Fähnchen in die Hand gedrückt, mussten durch eine Taschenkontrolle – und waren dann drin im sonst so unzugänglichen Schlossbereich.
Auf dem Platz vor dem Kaiserbalkon hiess es dann erst einmal wieder warten. Ein höfliches Gedrängel, jeder suchte sich seinen Platz, immer wieder kamen Durchsagen, wie man sich zu verhalten hat.
Und dann, um 11 Uhr war es soweit: Die kaiserliche Familie betrat zum zweiten Mal an diesem Tage den Balkon (sie zeigt sich zu diesem Anlass insgesamt drei mal).
Die Masse schwenkten die raschelnden Fähnchen, dann setzte Tennō Akihito zu einer kurzen Rede an, von er wir allerdings nur Bruchstücke verstanden (dass er heute 80 Jahre alt wird, irgendwas mit dem 2. Weltkrieg, und dem Taifun, der die japanische Insel Oshima verwüstet hat). Wild wurden dann nochmals die raschelnden Fahnen geschwenkt.
Dann zog sich die Familie winkend wieder zurück, und die Menge schob sich langsam zu den offiziell ausgeschilderten Ausgängen.
Die Raucher mussten natürlich erst einmal eine rauchen. Das geht nur in den ausgewiesenen Open-Air-Raucherzonen. Japan ist kein Vergnügen für Nikotinabhängige.
Dann konnten wir noch eine lange Prozession irgenwelcher Würdenträger beobachten, die ins Schloss marschierte. Vermutlich zum offiziellen kaiserlichen Empfang.
Langsam zerstreuten sich die vielen Menschen im Park. Der nordwestliche Teil kann auch offiziell besichtigt werden. Im Winter ist das natürlich nicht sehr spannend. Thomas und ich gingen dann auch langsam zum Ausgang.
Unser nächster Programmpunkt an diesem Tag war nämlich die berühmte Suntory Hall, d e r Konzertsaal in Tokyo. Mit der Hilfe unserer Zürcher Freundin Hiromi hatten wir Karten vor Monaten im Internet kaufen können. Geboten wurde: Händel’s Messias, vom Bach Kollegium Japan und seinem Dirigenten Masaaki Suzuki.
Als Barock-Fans freuten wir uns natürlich besonders, das bekannte Ensemble nun live zu erleben. Das Konzert würde um 15 Uhr beginnen. Wir mussten aber noch die Karten holen gehen.
Auf dem Weg vom Schloss zur U-Bahn kamen wir am berüchtigten Yasukuni-Schrein vorbei. Und so wollte ich mir diesen sehr umstrittenen Ort dann doch auch mal persönlich anschauen. Natürlich standen etliche „Propaganda-Kampffahrzeuge“ wieder davor – offenbar hatten sie dort eines ihrer Hauptquartiere.
Es waren doch erstaunlich viele Menschen dort, die dem Schrein ihre Referenz erwiesen, teilweise in einer beängstigend fanatischen, unheimlicher Art. Wir wissen nicht genau, wer warum ausgerechnet diesem Schrein einen Besuch abstattet.
In der westlichen Presse ist natürlich stets von den Besuchen der Premierminister zu lesen, die eine extrem delikate politische Angelegenheit sind. [Anmerkung: Dies schreibe ich am 27.12.. Gestern hat Premierminister Aso den Yasukuni-Schrein „privat“ besucht und in China und Südkorea Proteste ausgelöst. Politisch entwickelt sich Japan für uns inzwischen besorgniserregend.]
Bei der Suntory Hall konnten wir dann ohne Probleme unsere Tickets erhalten, tranken noch einen Kaffee und pünktlich um 15 Uhr begann das Konzert in dem mit ca. 2000 Plätzen ausverkauften Konzertsaal.
Es war natürlich grandios: Selten haben ich ein Ensemble und einen Chor – und dann nur knapp 50 MusikerInnen stark – mit solch einer Präzision gehört, live schon gar nicht. Auch die vier Solisten (Tennor, Counter, Sporan und Bass) waren erstklassig. Es braucht nicht immer berühmte Namen für einen besonderen Musikgenuss. Masaaki Suzuki führte sein Ensemble so lebendig und doch entspannt, dass es eine Freude war, zuzuschauen.
Bei Händels Messias bekommt man etwas für sein Geld: Das Konzert dauerte inklusive Pause 3 Stunden. Beim Rausgehen mussten alle noch das neue Elektro-Auto von BMW bewundern – die Firma hatten das Konzert gesponsert und durften dafür ihre neueste Entwicklung direkt vor dem Eingang aufstellen.
Trotz des langen Sitzens waren wir dann doch müde von all den Eindrücken des Tages.
Den Abend liessen wir „zuhause“, in unserem Appartement, gemütlich ausklingen.