Dass sich die Situation mit dem Coronavirus in Europa und der Schweiz so plötzlich und dramatisch entwickelt, verfolgen wir aus der Ferne mit Besorgnis. Vor ca. zwei Wochen war dies noch völlig undenkbar. Da stand Japan (vermutlich wegen der Fallzahlen des Schiffs „Diamond Princess“ in Yokohama) noch auf der Liste der betroffenen Länder des BAG – des Bundesamts für Gesundheit (Schweiz), und es sah so aus, als hätte ich mich – sofern dies so geblieben wäre – nach der Rückkehr aus Japan in Quarantäne begeben müssen. Nun ist die Situation grotesk anders: In der Schweiz herrscht der Ausnahmezustand, in Deutschland steigen die Fallzahlen weiter stark. Von Italien, Spanien und Frankreich ganz zu schweigen.
In Japan entwickeln sie sich auf relativ niedrigem Niveau – wenn man den offiziellen Zahlen glauben darf. Derzeit sind offiziell rund 870 Fälle gemeldet (Stand 18.3.20) – ohne die Erkrankungen des Schiffes (712), dass unter Quarantäne stand. Experten tippen auf eine höhere Dunkelziffer und kritisieren die Regierung, die Zahlen künstlich tief halten zu wollen, auch wegen der Olympischen Spiele. Aber natürlich weiss niemand etwas Genaues.
Das tägliche Leben in Tokyo, wo wir uns seit Samstag, 14.3. befinden, verläuft nahezu normal. Alle Geschäfte haben geöffnet, wenngleich grössere (Kaufhäuser, Elektronikmärkte etc.) mit teilweise reduzierten Öffnungszeiten. Es gelten diverse Einschränkungen:
- Museen und öffentliche Einrichtungen haben mehrheitlich bis Ende März bzw. bis auf weiteres geschlossen.
- Sport- (Sumo, Fussball, Baseball, …) finden ohne Zuschauer statt. Theater- und Konzertveranstaltungen (Kabuki, Theater, Konzerte) wurden abgesagt (kein Kabuki, schluchz…).
- Fitness- und Sportstudios sind geschlossen – sie scheinen ein relativ hohes Ansteckungsrisiko zu sein.
- In den Schulen wurde bereits seit dem 2. März der Betrieb eingestellt. In den Kindergärten läuft die Betreuung aber weiter.
- Die Bevölkerung ist gebeten, zuhause zu bleiben und grössere Menschenansammlungen zu vermeiden.
Und: Die Olympischen Spiele werden gemäss heutigen Meldungen vermutlich verschoben. Noch traut sich das aber niemand laut auszusprechen…Von irgendwelchen Ausnahmezuständen sind wir hier aber entfernt. Daher auch meine vielleicht unbekümmert anmutenden Blogeinträge…
In Läden und Restaurants stehen fast überall Dosierer mit Ethanol-Lösung. Jeder ist gebeten, sich in Rücksicht auf das Personal die Hände zu desinfizieren. In den meisten öffentlichen Toiletten wurden Seifenspender aufgestellt – normalerweise ist dies nicht immer der Fall. Und Händewaschen ist das oberste Gebot. Bakterienschleudern wie Dysons bzw. Händetrockner wurden zugeklebt.
Das Tragen von Mundschutz/Gesichtsmasken hat in Japan sowieso schon Tradition während der kalten Jahreszeit. Somit erstaunt es nicht, wenn derzeit die Angestellten in den Geschäften diese ausnahmslos tragen, und nun eben auch die übrigen 80% der Bevölkerung. Wir sind eher überrascht, dass es doch viele Leute gibt, die keine Masken anlegen, auch nicht in den ÖV. Vielleicht konnten sie auch keine mehr kaufen, denn natürlich sind sie hier seit Wochen auch nicht mehr erhältlich. Thom und ich legen unsere mitgebrachten Masken an, wenn wir mit U-Bahn und Zug unterwegs sind, und sehen dies primär als Geste der Höflichkeit an.
Zum Schutz taugen die Masken ja nur bedingt. Und warum hat einem vorher nicht jemand gesagt, dass diese Masken für Brillenträger bei kühlem Wetter eine echte Herausforderung sind? Man vernebelt sich permanent die Sicht mit dem Atem, der da nach oben raus will. Beim Velofahren legen wir jedenfalls keine an.
Wir meinen auch beobachten zu können, dass es Anfänge einer Maskenmode gibt. So haben wir schwarze, braune, graue und rosafarbene ebenso gesehen, wie spezielle Formen und selbst bemalte. Auch waschbare Exemplare bzw. aus Neopren sind unterwegs.
Täglich lesen wir Zeitung und checken die Lage morgens und abends auf diversen schweizerischen, deutschen und japanischen Seiten im Internet.
So wie es momentan aussieht, werden wir unsere „Ferien“ wie geplant fortsetzen . Unser Rückflug geht am 8. April, das ist in drei Wochen. Wie sich die Lage bis dahin entwickeln wird, kann derzeit wohl niemand voraussagen. Zudem scheint die Situation in der Schweiz momentan weitaus problematischer als hier. Seit gestern gibt es die Empfehlung des Bundesrats an alle reisenden Schweizer, rasch in die Schweiz zurückzukehren, da die Gefahr besteht, dass die Grenzen dicht gemacht werden. Wir denken jetzt mal positiv…
Mal abgesehen von diesem merkwürdig schizophrenen Zustand ist es in Tokyo derzeit zauberhaft. Nach einer kurzen Kältewelle in den letzten Tagen herrscht strahlendes Frühlingswetter. Und dies gemäss Aussichten auch so bleiben.
Die Kirschbäume, die bisher nur vereinzelt an geschützteren Lagen am Blühen waren, werden nun sicherlich rasch aufbrechen und zum Frühlingsfest am Freitag hoffentlich alle erfreuen. In Japan ist dann Feiertag, allerdings sind die zahlreichen Feste überall abgesagt. Vor grossen Menschenansammlungen wird eh abgeraten, bzw. es werden schon Karten für den kontingentierten Zutritt verkauft (siehe z.B. auch https://www.env.go.jp/garden/shinjukugyoen/english/).
Die bekannte Tradition der Hanamis, der Kirschblütenschau mit Feiern und Betrinken wird allerdings wegen Corona ebenfalls mehrheitlich ausfallen, bzw. ist zum Teil unerwünscht.
Gucken darf man aber schon, und Thom und ich werden uns bei diesen Wetteraussichten auf unsere Birdy schwingen, zu einem der Parks fahren, hoffen, dass wir hinein dürfen, um die Sakura nach über 10 Jahren mal wieder gebührend zu bewundern (s. auch Blogbeitrag vom 27.3.09).
2 Responses to Situation in Japan: Corona und Kirschblüten