Ausflug Tsuwano (津和野市)

Tsuwano ist eine kleine Stadt in der Präfektur Shimane und liegt direkt an der Zugverbindung zwischen Yamaguchi und der Stadt Masuda am Japanischen Meer. Die Fahrt dauert mit dem Schnellzug „Super Oki“ eine Stunde, mit dem Bummelzug plus Umstieg sehr viel länger. Hier entschieden wir uns schon für den Schnellzug, zumal die Bahnstrecke ja genau dieselbe ist. Dies ist übrigens beim Shinkansen nicht so. Der hat seine eigene, separate Gleisführung (meist als Hochbahn auf Stelzen).

Am Morgen war es richtig kalt, der erste Kälteeinbruch in Japan. Naja, es hatte in der Nacht auf ca. 6°C heruntergekühlt. Aber die Wetterfee im Fernsehen war ganz aufgeregt, und das Wort „samui“ (=kalt) war wohl das meistgenannte Wort des Tages.

Am Bahnhof kauften wir einen Fahrschein und stellten uns dann gleich am Gleis auf, damit wir als Erste die Birdys gut verstauen konnten. In Japan sind die Einstiege der Züge entsprechend gekennzeichnet: Name des Zuges, Wagennummer sowie der Hinweis, wo nicht reservierte oder reservierte Plätze sich befinden. Man wartet dann an der entsprechenden Markierung am Bahngleis. Meist ist bei den unreservierten Plätzen die längere Schlange. Denn die Reservierung in Japan kostet relativ viel.

In Tsuwano angekommen, war erst einmal ein Kraftakt zu bewältigen: Die Birdys mussten über die Gleise, und die japanischen Überquerungen auf dem Lande sind dafür etwas anstrengend. Die hatte ich in den letzten zwei Jahren irgendwie verdrängt… Und wenn wir erst wieder mit Faltvelo und Koffer durch die Gegend ziehen! Aber nun ja, etwas Krafttraining in den Ferien muss wohl auch mal sein.

Was das interessante Thema Bahnhofstoilette angeht, so erhält Tsuwano hier volle 5 Sterne von uns. Edle, neue Infrastruktur vom feinsten, sogar mit „Washlet“ (Toilette mit gewärmtem Sitz und Bidetfunktion). Und auch wenn ich das Teil aus ökologischen Gründen eigentlich nicht gutheissen kann, so ist es im Winter halt schon sehr angenehm, auf einer gewärmten WC-Brille Platz zu nehmen. Insbesondere bei Toiletten im Aussenbereich. Der Marktführer in Japan für Toilettensitze bzw. Sanitärausstattung ist die Firma Toto in Kitakyūshū. Wenn wir in zehn Tagen dort sind, wollen wir deren Museum besuchen. 🙂 Für alle, die sich für das Thema „Toiletten in Japan“ interessieren, sei der informative Wikipedia-Artikel empfohlen.

Aber pardon, Tsuwano ist natürlich nicht für seine Bahnhofstoilette berühmt, sondern für sein Stadtbild mit alten Samurai- und Handelshäusern sowie einem Inari Schrein und der Burgruine. Dazu gibt es noch einige lokale Museen und Tempel für Kenner der Materie.

Wir radelten zuerst einmal durch die Strassen und bewunderten die alten Häuser, stoppten an einer Kirche und betrachteten mindestens genauso lang die grossen, bunten Koi-Fische, dies sich im Kanal vor der Kirche tummelten.

Unser nächstes Ziel war der Taikodani Inari-Taisha. Inari ist der Kami (der Gott oder die Göttin) der Fruchtbarkeit und des Reises. Der berühmteste Inari-Schrein ist der Fushimi-Inari-Taisha in Kyoto, und Bilder dieses Tempels hat bestimmt schon jede(r) gesehen. Es ist der mit den vielen roten Tori’s, den hölzernen Toren, die praktisch einen Tunnel über dem Weg zum Schrein bilden.

In Tsuwano ist die Dimension des Ganzen natürlich kleiner, aber trotzdem sehr schön und insbesondere viel geruhsamer als im inzwischen völlig überlaufenen Kyoto (wir verdauen immer noch unser Trauma von vor zwei Jahren…). Und gemäss Aussagen wird der Schrein in Tsuwano auch von über einer Million Menschen pro Jahr besucht. Der Infrastruktur sowie der Instandhaltung ist das durchaus anzusehen. Schade dass wir das Schreinsfest am Tag zuvor verpasst haben.

Aber dafür war an diesem Tag alles ganz friedlich und alles immer noch festlich geschmückt mit Blumen und den zackig gefalteten Papierstreifen (shide). Unschwer zu erkennen ist zudem, dass der (weisse) Fuchs das Symbol der Inari-Schreine ist.

Anschliessend radelten wir weiter in Tsuwanos Ortsteil Machida. Eine Soba-Nudelsuppe gab uns Kraft für den nächsten Tagesordnungspunkt, das Mori Ōgai Museum und sein Geburtshaus.

Bis vor einigen Wochen hatten wir von diesem Herrn, einem bekannten japanischen Schriftsteller und einer der Söhne der Stadt, keine Ahnung gehabt. Bis Thom im Japanischunterricht die berühmte Kurzgeschichte „Takasebune (高瀬舟, 1916)“ gelesen  und auf der Suche nach Reiselektüre ein Buch über den Dichter entdeckt hat. Das Besondere ist, dass Mori Ōgai von 1884 bis 1888 in Deutschland Medizin studiert und sich dann auch mit der deutschen Literatur und Lyrik beschäftigt hat. Unter anderem hat er Goethes Faust (1 & 2) ins Japanische übersetzt, dazu noch Werke von Lessing, Kleist und E.T.A. Hoffmann sowie anderen Klassikern der europäischen Literatur, was ja eine rechte Leistung ist. Dazu hat er selbst Werke verfasst, die in Japan sehr populär sind. Weitere Details weiss Wikipedia. 🙂

Leider hätten wir uns den Besuch des Museums (fast) schenken können. Zwar scheint es alles ganz gut aufbereitet zu sein, jedoch ausschliesslich auf Japanisch. Das hat uns dann doch etwas verwundert. Die kleinen Museen auf dem Lande schaffen das nicht, was eigentlich etwas schade ist, denn sie können sich ja auch etwas vom Tourismuskuchen abschneiden. Natürlich ist es nicht machbar, alles Gezeigte auf Englisch zu übersetzen. Aber ein kleiner Effort wäre doch der Sache durchaus dienlich.

Das benachbarte Geburtshaus Mori Ōgais sprach dann schon eher für sich selbst.

Auf der anderen Seite des Flusses war noch ein weiteres historisches Gebäude zu besichtigten, dass Geburtshaus des japanischen Philosophen Nishi Amane, der auch ein Lehrer Mori Ōgai’s war.

Für den letzten Punkt auf unsere Liste mussten wir mal wieder den Berg hochradeln. Es ging zwar nochmals in Richtung Inari-Schrein, aber einige Meter davor gibt es einen Sessellift zu den Burgruinen von Tsuwano. Ein bisschen Aussicht zum Abschluss des Tages war ja nicht schlecht.

Diese japanischen Sessellifte kennen wir ja bereits von allen möglichen Städten (s. Blogeintrag vom 26.8.2010). Bei diesem hier sank aber mein Vertrauen in die japanische Technik gewaltig. Das geschätzte Baujahr muss in den frühen 70er Jahren gewesen sein. Und es ging dann doch recht ordentlich senkrecht in die Höhe, und das in relativ verrostet wirkenden Sitzen… Wir plumpsten in diese (ohne Sicherung), und der Lift gondelte uns die 200 Höhenmeter nach oben. An sich war die stille Fahrt durch den links und recht dichten Walt (mit Bären übrigens…) ja sehr beschaulich, aber angesichts des Zustands des Lifts stellt man sich doch einige existenzielle Fragen. Halten die Gondeln unsere europäische Gewichtsklasse aus? Gibt es in Japan einen TÜV?

Natürlich kamen wir heil oben an. Bis zum Schloss sind es dann noch gut 10 Minuten zu Fuss, und offenbar wird der an sich sehr holperige Fussweg Richtung Schloss gerade verbessert und ausgebaut. Wir stapften über ein Gerüst am Hang entlang. Die Schlossreste erkundet man dann auf eigene Faust. Gutes Schuhwerk ist angebracht, denn nur einiges ist gesichert, und an manchen Aussichtspunkten geht es recht eindrücklich in die Tiefe.

Das Schloss, ursprünglich Ende des 13. Jahrhunderts errichtet, wurde Mitte des 19. Jahrhunderts teilweise durch ein Feuer zerstört und während der Meiji-Zeit 1873 abgetragen. Die Ausmasse der Baureste sind beeindruckend, da die Mauern sich ein gutes Stück auf dem Bergrücken entlangziehen. Die Burgreste zusammen mit dem flammend roten Ahorn waren ein tolles Momiji-Schauspiel, und vom allerhöchsten Punkt gibt es eine grandiose, fast 360°-Aussicht auf Tsuwano und Umgebung. Ein bei schönem, trockenem Wetter wirklich lohnenswerte Unternehmung.

Der Lift brachte uns wieder nach unten (Beweisfoto!) und wir düsten per Zweirad schnell wieder nach Tsuwano zurück, nicht ohne bei einem prächtigen, herbstlich gelbem Gingko-Baum noch einen Stopp eingelegt zu haben.

Bei einem Sake-Brauer machten wir zudem noch Halt, denn wir wollten noch etwas probieren und mitnehmen. Die Kugel aus Reisstroh ist immer das Symbol für eine Sake-Brauerei.

Diese, die Uijin-Furuhashi-Brauerei, schien uns die richtige zu sein. Der schöne, traditionelle Laden bot – neben Sake – noch ein paar andere Produkte an. Unter anderem Ampelmännchen. Nanu? Des Rätsels Lösung: Wegen Mori Ōgai pflegt Tsuwano eine Städtepartnerschaft mit Berlin Mitte, und die Ampelmännchen haben es so bis in die Provinz Japans geschafft. Super!

Furuhashi-san, der Brauereiinhaber, war entzückt, dass wir diese erkannten. Er ist stolz darauf, dass er seinen Sake in Deutschland vertreibt und zeigte uns ein sehr schönes Sake-Buch, was wir uns bestimmt noch anschaffen werden.

Und natürlich gab es noch ein gemeinsames Foto (leider etwas verwackelt, denn es war schon etwas dämmerig) für seine Facebook-Seite.

Bild könnte enthalten: 3 Personen, Personen, die lachen, Personen, die stehen
Und schon vorweg berichtet: Der gekaufte Sake (ein trockener) war ziemlich gut. 🙂

Für die Rückfahrt mit dem Super-Oki blieb noch etwas Zeit, und so besuchten wir noch das Shisei Kuwabara Photographics Museum in der Touristeninformation am Bahnhof. Der Name sagte uns erstmal gar nichts, jedoch hat er eine enorme Bedeutung, da er als erstes die Minamata-Krankheit (1971) fotografisch festgehalten hat. Die Fotos in der Ausstellung haben uns durch ihre grosse Ausdruckskraft ziemlich beeindruckt.

Nun waren wir wirklich reif für die Rückfahrt, und inzwischen war es auch kalt und dunkel geworden. Der Schnellzug brachte uns ruckzuck nach Yuda Onsen zurück, und da wir noch eine Kleinigkeit Essen wollten, probierten wir es einfach nochmals im netten Restaurant-Isakaya Isokura, das wir am ersten Abend mit Imai-san besucht hatten. Bingo, es gab grade noch zwei Plätze an der Theke, und so schwelgten wir erneut in gegrilltem Fisch und Gemüse… Und reservierten dann gleich nochmals für den nächsten Abend. Denn immerhin kannten wir jetzt die Speisekarte schon zu 20%. Sehr entspannend. 🙂

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Japan, Shimane und getaggt als , , , , , . Fügen Sie den permalink zu Ihren Favoriten hinzu.

Kommentare sind geschlossen.