Wenn sich die Gelegenheit ergibt, schauen wir gerne auch mal in japanische Bibliotheken hinein. Wie überall sind diese sehr heterogen. Wie bei uns gibt es architektonische «Leuchttürme», also die von berühmten Architekten konzipierten Bibliotheken. Dann die eher ältlichen «Normalbibliotheken»: eher schmucklos, aber praktisch. Oder auch Bibliotheken, die in neueren, vielfältigen Gebäudekomplexen integriert sind, wie z.B. die neuen Stadtbibliotheken in Wakayama und Nobeoka (siehe Blogbeiträge von 2024), oder (ich nehme es jetzt vorweg) die Stadtbibliothek Sakata im «Miraini» (Eintrag folgt).
Bei den Reisevorbereitungen sind wir bei Akita zufällig auf die «Nakajima Library» gestossen. Also mal gucken gehen. Was sich dann allerdings als Beinahe-Tagesausflug entpuppen sollte.
Die Bibliothek, die zur Akita International University gehört, liegt etwa 4 Kilometer vom JR-Bahnhof Wada entfernt, was mit dem Lokalzug gut erreichbar ist. Allerdings fahren die Züge nicht so häufig. Stundentakt ist im ländlichen Japan ein frommer Wunsch. Wir bestiegen also mit den Rädern in den Taschen den Zug gegen 10 Uhr und waren nach etwa 20 Minuten da, mehr oder weniger inmitten von Reisfeldern. Das Dorf lag jedenfalls auf der anderen Seite des Bahnhofs.



Es gab keine Schliessfächer für die Velotaschen, und so banden wir sie mit dem Veloschloss an einem Pfeiler am Velounterstand fest. Alles war so verlassen, dass wir da nicht das Gefühl hatten, es würde jemand auf dumme Gedanken kommen. 😉

Mit einem groben Richtungsgefühl und der Hilfe von Google Maps radelten wir los. Es gab zwar Fuss- bzw. Velowege, aber diese waren teilweise recht zugewuchert von der offensiven japanischen Vegetation, drum mussten wir mehrfach die Strassenseite wechseln. Auch ein bisschen mulmig war uns wegen möglicher Bärenaktivitäten, denn wir fuhren am Wald entlang, und es gab viele Kastanienbäume (deren Früchte ja bei den Bären beliebt sind).

Eine gute halbe Stunde später erreichten wir den etwas höher gelegenen Campus. Kein Wunder hatten wir so strampeln müssen… Und wunderten uns weiter über dessen Abgeschiedenheit. Ringsherum ist nicht mehr viel, ausser der Wald und ein grosser Freizeitpark. In der Nähe ist auch der Flughafen Akita.
Die meisten der Incoming-Studierenden scheinen gleich dort zu wohnen (wir haben zumindest einige Wohnheime gesehen). Eine spärliche Busverbindung führt hin und zurück zur AEON Mall Akita, und von dort braucht es auch noch ein Weilchen bis ins Zentrum. Alternativ müssten die Studierenden etwas sportlich sein (wie wir 😉) und zum Bahnhof Wada hin und zurück radeln. Die Einsamkeit ist vielleicht gut für ein konzentriertes Studium. Aber würde ich tatsächlich dort ein oder zwei Semester verbringen wollen, nur unter Studierenden aus anderen Ländern, ohne Kontakt zum richtigen Leben in Japan?
Die Universität selbst ist attraktiv und grosszügig angelegt und in die Natur integriert. Unter einer schönen Japan-Sugi-Baumgruppe gab es hübsche Picknick-Plätze. Mit Hilfe der Lagepläne fanden wir die Bibliothek schnell und konnten unsere Velos unter einem Dächli unterstellen. Was nötig sein sollte, denn es würde in der nächsten Stunde einen ziemlich heftigen Schauer geben.



Nun aber zur Bibliothek. Wir betraten diese, und schon am Eingang wiesen grossen Schilder auf das Fotografierverbot hin. Hm, so hatten wir uns das natürlich nicht vorgestellt, also auf zur Offensive. Ich stellte mich höflich vor, erklärte, dass ich als Bibliothekarin «extra» aus der Schweiz angereist sei, um die schöne Bibliothek zu sehen, und zückte mein ZHAW-Visitenkärtchen zum Beweis. Und immerhin: Ich bekam freundlich erklärt, dass ich drei Fotos machen dürfte, natürlich ohne Personen aufzunehmen. Dazu gab es einen Zettel mit Link zu weiteren, offiziellen Fotos, die man für private Zwecke verwenden durfte. Auch wenn es schwerfiel: Wir haben uns daran gehalten.


Hier die offiziellen Bilder der Bibliothek.






Der Architekt des 2004 eröffneten Baus ist Senda Mitsuru (*1941). Die Bibliothek besticht durch ihr Halbrund, der einem Amphitheater ähnelt. Die Bauelemente bestehen aus viel Holz, was eine besondere Wärme und Natürlichkeit verleiht, und der schallschluckende Teppichboden führt zu einer angenehm ruhigen und gedämpften Atmosphäre. Kein Vergleich zu «meiner» Bibliothek mit den vielen schallharten Materialien. Neben zahlreichen anderen preisgekrönten Bauwerken hat der Architekt Senda Mitsuru 2022 noch eine weitere Bibliothek gestaltet, die Ishikawa Prefectural Library in Kanazawa . Sie gilt als eine der modernsten Bibliotheken Japans und ist gleichzeitig Kultur- und Bildungszentrum. Auch hier also die Tendenz, Kultur, Bildung, Bibliothek und Begegnung zu einer Einheit zusammenzufassen.
Zurück zur Nakajima-Library, benannt übrigens nach dem Gründer der Akita International University, Mineo Nakajima. Das erste, was mir beim Eingang auffiel, waren die RFID-Gates (Radio Frequency Identification), die in der Bibliothek der Selbstausleihe und -rückgabe sowie dem Tracking der Medien dienen. Die Bibliothek bietet sich als «Open Library» an, will heissen, die Studierenden haben mit ihrer Karte 24/7 Zugang, daher muss das schon sein.

Wir wanderten durch die im Halbrund angeordneten Regale und Arbeitsplätze, während draussen ein kurzes Regeninferno tobte und der Regen heftig auf das Dach prasselte. Viele Studierende waren nicht am Lernen. Es waren nicht viele Studierende anwesend. Vielleicht waren sie in den Kursen und Vorlesungen?
Der primär englischsprachige Buchbestand wirkte schon etwas angejahrt, und wir vermuteten, dass die aktuelle Literatur primär als E-Book zur Verfügung steht. Nach Auskunft einer Bibliothekarin auf unsere Frage werden zwar elektronische Medien erworben, aber auch viele gedruckte Bücher. Ausserdem wies sie uns auch noch auf ein hübsches Buch hin (日本の最も美しい図書館 = Japans schönste Bibliotheken / Tatsunoi Kazue, 2023, ISBN 978-4767831817). Müssen wir kaufen.
Inzwischen war es nach Mittag geworden und wir verabschiedeten uns. Die Cafeteria bot Mittagessen, und so nahmen wir zwischen Studierenden und Universitätsangestellten Platz, assen ein bescheidenes Vegi-Mahl, und schlenderten dann anschliessend durch den Campus. Der Regen war zum Glück vorbei und wir würden unbehelligt zurück zum Bahnhof Wada radeln können.



Noch eine Entdeckung machten wir aber im Studentenfoyer. Dort waren die Informationsschuber aller 200 Partnerschulen ausgestellt. Es wunderte mich wenig, dort auch die Mappe mit ZHAW-Infos zu entdecken. Leider sind diese schon ziemlich veraltet. Vielleicht muss ich dies mal den Verantwortlichen der School of Management and Law mitteilen? 😉
